Schlagwort-Archive: Inklusion

Feindbild IV?

Sie gilt als konservativ, träge und als bestimmend. Die Schweizerische Invalidenversicherung (IV) hat keinen guten Ruf. Insbesondere bei den Beeinträchtigten triggert die Abkürzung IV automatisch die Alarmglocken. Und das nicht zu unrecht, die meisten machten schon schlechte Erfahrungen mit der Institution. Auch die meisten von Vefko könnten zahlreiche negativen Erfahrungen aufzählen. So ist es nicht verwunderlich, dass wir einen grossen Bogen um die Institution machten.

Doch wenn man in der Schweiz mit Behinderung zu tun hat, kommt man um diese Institution nicht herum. Denn sie ist staatlich und hat damit eine Monopolstellung. So schauten wir mit etwas bangen auf die ersten Kontakte mit ihr.

Gestern war es soweit, und was soll ich sagen. wir waren echt übberrascht. Das Gespräch war sehr konstruktiv. Dabei war die Ausgangslage auch bei uns nicht so einfach. Die IV hat ein relativ starres Korsett von Regeln und Gesetzen, an die sie sich halten müssen, die Beeinträchtigten sind aber Individuen, die einen Individuellen Weg brauchen.

Doch wir brachten es gemeinsam fertig, einen sehr guten Plan aufzustellen, keine Komfrontation, sondern Zusammenarbeit. Das war so gar nicht die IV wie ich sie kenne. Doch was genau war anders?

Wir haben im Vorfeld des Gespräches uns intern darauf geeinigt, volkommen offen in das Gespräch zu gehen. Auch war für uns von Anfang an klar, dass es uns nicht darum geht, das maximum für uns herauszuholen. Sondern die effizienteste Möglichkeit zu finden. Also ich weiss ja nicht, den meisten Menschen gehts ja wohl nicht drum möglichst viele öffentliche Gelder zu verbraten. (Ausnahmen mag es geben). Uns geht es doch da drum, wie wir uns so in die Gesellschaft eingliedern können, damit wir uns auch einbringen können. Und ich glaube die IV hat hier ein ganz ähnliches Ziel.

Das Problem ist doch, dass beide Parteien meist schon mit einem Schlachtplan in den Kampf äh sorry, Sitzung ziehen. Beide sehen den Feind im anderen. Die IV sieht den bereits schon den Simulanten, Abzocker usw. und die Beeinträchtigten sehen die grosse böse IV die sie am liebsten gleich wieder los haben will. Und da stehen sie nun, die beiden Tieger, bereit sich zu zerfleischen. Ja Himmel noch mal, wie soll auf so einer Basis eine konstruktive Lösung entstehen?

Wie wärs, wenn beide Seiten offen ins Gespräch gehen, eine Best case Lösung entwerfen, und dann geneinsam schauen, wie man diese in die gesetzlichen Vorgaben quetscht. Das letzte mag da und dort haarig sein, aber man kriegt das schon hin.

In unserem Fall hats gut geklappt, und dafür möchten wir der SVA Graubünden danken! Lasst uns nicht gleich Feinde sehen, wo evtl. Partner sind!

Falsche Hoffnungen in die Inklusion

Inklusion ist in aller Munde. Der Traum vom verschmelzen der Gesellschaft zu einer Gruppe. Eine Gesellschaft ohne Randgruppen. Rahmenbedingungen schaffen, dass jeder Mensch dazu gehört. Eine schöne Sache. Es ist ein Hoffnungsschimmer für all die jenen, die sich bis jetzt von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlten.

Doch immer wieder geht der Schuss nach hinten los. Eltern nehmen frustriert ihre Kinder aus dem Inklusiven Unterricht zurück. Beeinträchtigte verlassen enttäuscht inklusive Angebote. Was läuft da schief, und warum werden einige Hoffnungen eben nicht erfüllt?

Ich bin kein Theoretiker, sondern komme aus der Praxis. Ich leben als Behinderter seit über 20 Jahren nahezu ausschliesslich unter Nichtbehinderten. Ich machte unter Nichtbehinderten Sport, bin in der Software Entwicklung aktiv, nehme am Dorfleben teil. In meinem 2300 Seelen Dorf kennen mich fast alle, und wenn mich Leute mal länger nicht sieht, fragen sie mich, wo ich denn war. Man vermisst mich also. Ich habe also das geschafft wovon viele träumen.

Hoffnung auf Normalität

Viele Behinderte leiden unter dem „anders sein.“ Sie fühlen sich dadurch nicht zugehörig, Viele stecken in Inklusion die Hoffnung, dass damit auch Normalität einkehrt. Der Gedankengang ist relativ einfach. Wenn man nicht mehr separiert ist, fühlt man sich automatisch normaler.

Oft wird dann auch noch versucht, so normal wie möglich zu erscheinen, bewusst oder unbewusst nicht den Behinderten zu sein, und das geht dann mächtig in die Hose. Inklusion kann vieles, aber sie bringt keine Normalität. Sie lässt auch die Behinderung nicht verschwinden. Sie verstärkt sie sogar!

Ok, ein Beispiel: Ich machte einige Jahre an ganz normalen Wettkämpfen in der Leichtathletik mit. Was glaubt ihr, wo mir meine Behinderung mehr auffällt, wenn ich an einem Behindertensport Event startete oder an einem der Nichtbehinderten. Natürlich an dem der Nichtbehinderten. Da fällt mir das anders sein viel mehr auf. Wenn ich unter Behinderten bin, sind ja alle irgendwie anders.

Andersartigkeit ist eine Chance

Und dennoch war es wichtig, dass ich an diesen Wettkämpfen teilgenommen habe. Gerade weil ich anders bin. Organisatoren bedankten sich bei mir fürs Erscheinen, und ich wurde sogar an Events eingeladen. Ich hatte Vorbildcharakter für viele, auch für Spitzensportler. Nicht etwa wegen den Platzierungen. Da war ich immer ganz hinten. Sondern wegen meinem unermüdlichen Kämpferwillen. Die Bereitschaft alles zu geben, war mein Markenzeichen und das rüttelte viele auf.

Diese Vorbildfunktion hätte ich nicht wahrnehmen können, wenn ich die ganze Zeit den Nichtbehinderten Sprintern hinterher getrauert hätte. Inklusion ist kein Trostpflästerchen für eine nicht akzeptierte Behinderung. Sie kann auch nicht aus Behinderten Menschen Nichtbehinderte machen. Sie bringt auch nicht die Normalität zurück.

Wer aber die positiven Seiten des „Anders sein“ lebt, und diese in die Gesellschaft einbringt, der wird nicht nur dabei sein, sondern vielleicht auch eine unersetzliche Rolle übernehmen.

Warum Home Office für einige Behinderte die Zukunft ist.

Dienstag Abend um 17:30. Wir hatten gerade eine Sitzung in Chur, Andri und ich machen sich auf den Heimweg. Wir sind in einem vollgestopften Pendelzug von Chur nach Landquart. Zum Glück geht diese Strecke nicht mal 10 Minuten. Mir wird wieder mal vor Augen geführt, wie es Pendler haben.

Pendeln ist schon für Nichtbehinderte keine schöne Sache, doch für Behinderte kann das echt der Horror sein. Ich musste zum Glück nur einmal in meinem Leben pendeln. Damals von Hünenberg (ZG) nach Zürich während einer IV Abklärung.

Home Office
Mein Home Office

Mein Alltag heute ist da viel entspannter. Erst mal in den 80m entfernte Dorfladen gehen, und mir was zum Frühstück holen. Dann gemütlich in das online Büro einloggen, und mit der Arbeit beginnen. Dabei bin ich auch gar nicht an den Tag gebunden. Ich kann auch in der Nacht oder am Wochenende arbeiten.

Ich würde eine fünf Tage Woche nicht durchstehen. Dennoch habe ich für die Vefko auch schon 52h die Woche gearbeitet. Bei mir wäre es so, dass ein schöner Teil meiner Energie schon beim Pendeln verloren gehen würde. Diese hätte ich beim arbeiten nicht mehr zur Verfügung. Das wäre komplett ineffizient.

Integration durch Arbeit

In unserer Gesellschaft hat arbeiten einen grossen Stellenwert. Eine der ersten Fragen wenn man jemand kennen lernt ist: „Was machst du beruflich?“ Es ist recht unangenehm, diese Frage nicht beantworten zu können. Daher versuchen auch de Behinderten, diese Lücke mit irgendetwas zu schliessen. Auch wenn es ein Arbeitsplatz im geschützten Bereich ist, Hauptsache man kann dem anderen sagen, dass man nicht nur faul rumsitzt.

Es gab schon Leute die stellten das Vefko Konzept in frage. Vereinsamt man nicht, wenn man nur noch von zu Hause aus arbeitet? Die Frage ist nicht ganz unberechtigt, denn es kann tatsächlich passieren. Aber mal Hand aufs Herz, wie viele Arbeitskollegen sind auch private Kollegen? Vermutlich eher weniger. Klar trifft man sich hin und wieder mal mit seinen Arbeitskollegen zu einem Essen. Aber der private Filmabend geniesst man dann schon eher mit anderen Leuten oder nicht?

Die Integration durch Arbeit hat also weniger einen sozialen Aspekt, es geht eher um die Anerkennung von aussen, dass man auch etwas zur Gesellschaft beiträgt. Und da spielt es nun wirklich keine Rolle, ob man täglich zum Büro pilgert, oder ob man von zu Hause aus arbeitet.

Mit Home Office die Energie besser einteilen

Als ich damals in der IV Abklärung war, musste ich mich jedes mal aufraffen, um ins Training zu gehen. Ich war damals aber erst 19 Jahre alt, und körperlich, mal abgesehen von der Behinderung topfit. Heute würde es mir nach so einem Arbeitstag vermutlich wie vielen anderen Behinderten gehen. Nach dem ich zu Hause bin, wäre ich erst mal fertig mit mir und der Welt und hätte überhaupt keine Kraft mehr für Freizeitaktivitäten.

Heute sieht es bei mir anders aus. Gerade wenn ich viel gearbeitet habe, verspüre ich den Wunsch nach einer alternativen Aktivität. Sei es das Dorffest, das Training oder auch nur einen gemütlichen Schwatz mit den Nachbaren. Und genau das sind Kernbausteine für eine richtige integration in der Gesellschaft.

Für einige Behinderte dürfte Home Office erst die Chance bieten, den Beruf und die Freizeit unter einen Hut zu bringen, daher sehe ich darin eine grosse Zukunft.

Stützradkrimi – Der beste Fan oder noch mehr?

Es ging wieder auf eine Unihockey Saison zu, und ich war wieder an vorderster Front mit dabei, wenn es hiess, mein Team anzufeuern. Ich war definitiv der Fan, der dem Team am nächsten war. Die Spiele verbrachte ich nicht mehr auf der Zuschauerbank sondern unten an der Bande. Nicht dort wo die Spieler waren, denn das wäre ein Reglementverstoss gewesen, dort dürfen nämlich nur die offiziellen Betreuer hin. Meistens Stand ich hinter der Ecke hinter dem Tor. Neben dem dass ich immer wieder kräftig anfeuerte, war ich aber meist auch am Banden richten. Im Unihockey verschieben sich Banden in harten Zweikämpfen oder sie fallen gar auseinander. Jemand muss dann ganz schnell das Problem wieder beheben, damit das Spiel nicht unterbrochen werden muss. Manchmal half ich auch bei den Strafen aus, da musste man die Spieler nach abgelaufener Straffe wieder aufs Feld schicken. Ich machte mich halt nützlich wo ich konnte.

Immer öfter tauchte ich auch in den Trainings der ersten Mannschaft auf. Auch da half ich immer wieder. Sei es verschossene Bälle zurück ins Feld zu spielen oder die Bälle einsammeln. Ich war also ein bisschen Balljunge. Im Gegenzug konnte ich den etwa 5 m Breite Streifen neben dem Feld nutzen um Wand ab zu spielen, und so meine Schussfähigkeit zu verbessern. Wenn die Mannschaft mal nur das halbe Spielfeld brauchte (z.B. bei einer Übung), konnte ich sogar auf der anderen Hälfte aufs leere Tor ballern. So lange ich das Training nicht störte war das ok. Und darauf habe ich immer geachtet. Denn ich wollte ja, dass „meine“ Mannschaft gut trainieren konnte. Das schönste war aber sicher, wenn sich mal einer der Spieler Zeit nahm um mit mir ein bisschen zu spielen. Vor allem der eine Schwede forderte mich immer wieder heraus. Da sagte ich natürlich nicht nein, auch wenn der mich meist schwindelig spielte.

Ja, ich war schon ein richtiger Fanboy. Allerdings war es halt nicht die typische Fan Beziehung in der der Spieler den Fan überhaupt nicht kennt. Die Spieler waren sowas wie Freunde für mich aber ich bewunderte sie eben auch. Mir hätte man viel nehmen dürfen, aber nicht mein Einhorn. Für mich war das ein Platz wo ich all meine Probleme draussen lassen konnte. Vor allem war es aber ein Platz wo ich nicht auf meine Behinderung reduziert wurde, und das ist vermutlich das beste was man für einen Behinderten tun kann. Erfordert aber auch von dem Behinderten selbst, dass er sich nicht ständig auf die Behinderung bezieht. Aus der Sicht von damals war ich immer etwas unglücklich, dass ich Einhorn Hünenberg nicht mehr zurückgeben konnte. Doch ich glaube, ich bedeutete den Spieler wesentlich mehr, als mir je bewusst war.

Ich dachte halt, nur weil ich da etwas „Hopp Einhorn“ schreie, bin ich noch lange keine wichtige Person. Natürlich weiss ich bis heute nicht vollends, was ich einzelnen Spielern bedeutet habe, doch spätestens als ich selbst Fans hatte, wusste ich wie krass ich die Wirkung meines Anfeuerns unterschätzte. Auf jeden Fall so viel, dass das Team mal etwas für mich tun wollte (obschon sie das schon dauernd taten, ohne es vielleicht zu merken). Ich hatte unlängst Geburtstag, und es war ein Heimspiel angesagt. Ich war etwas spät dran, das Spiel lief schon fünf Minuten. Ich ging meinen gewohnten Weg, und wurde aber gleich vom Schweden (Er kein Deutsch und ich kein Englisch) abgefangen. Mit Händen und Füssen lotste er mich in die Spieler Garderobe und gab mir ein Original Spielertrikot. Darauf haben alle Spieler unterschrieben. Zurück in der Halle meinte ein Spieler: „Das musst du jetzt aber anziehen. Wir wollten dich eigentlich vor dem Spiel zum besten Fan von Einhorn ehren, aber du warst ja nicht da.“

Ab jetzt hab ich wohl keine Ausreden mehr, ich gehöre zum Team. Denn ausser mir und den Spielern hatte niemand dieses Trikot. Viele Fans würden sich über ein signiertes Trikot freuen, doch für mich hatte das noch eine ganz andere Bedeutung. Mit dem Shirt setzte das Team ein klares Zeichen und sagte: „Du bist einer von uns, und egal was da kommt, wir stehen hinter dir!“ Und wie ernst sie das meinen, erfahrt ihr in der kommenden Folge.

Stützradkrimi – Basketball als neues Hobby

Mittlerweile hatte ich mich im Dorf schon etwas eingelebt. Einige Jugendliche kannten mich bereits, und Barriere ist wesentlich kleiner geworden. Eines Abends streifte ich wieder mal mit meinem Stützradfahrrad durch das Dorf, als ich plötzlich ein paar Jungs Basketball spielen sah. Mich interessierte das, und so fuhr ich mit meinem Fahrrad auf den Platz.

„Willst du auch einen Wurf“, fragte der eine. Natürlich bejahte ich, denn Basketball ist nach Unihockey und Fahrrad meine drittliebste Sportart. Und wie es der Zufall wollte, ich traf sofort. „Woho, das musst du wiederholen“, meinte der Junge zu mir und warf mir den Ball noch mal zu. Zweiter Schuss, knapp vertroffen. „Komm noch mal“, meinte er. Und wieder war er drin. „Nicht schlecht, woher kannst du so gut spielen?“
„Ach treffen konnte ich schon immer“, meinte ich zu ihm.

Wir stellten uns gegenseitig vor, und dann spielten wir weiter. Ich fand das cool einfach mal mit anderen gleichaltrigen Nichtbehinderten Sport zu machen. Ausserdem waren mir die Jungs sehr sympathisch. Wir waren mitten im Werfen als plötzlich noch zwei weitere erschienen. „Wir haben um 18:00 abgemacht wo wahrt ihr?“ „Sorry Hausaufgaben!“, meinten die Neuankömmlinge. Ach das Problem kommt mir bekannt vor, dachte ich. Und plötzlich waren wir 6 Leute auf dem Platz. „Ok Jungs, spielen wir?“ fragte einer.

Oh nein, die wollen jetzt spielen, da darf ich bestimmt nicht mitmachen, dachte ich. Da ich mich nicht aufdrängen wollte, ging ich schon mal zu meinem Fahrrad. Die Jungs auf dem Feld diskutierten. „Wir sind drei gegen zwei, das geht nicht auf“ meinte der eine. Einer der neu dazugekommenen: „Und was ist mit dem da draussen, spielt der nicht mit?“ Ein anderer: „Raphi, wir brauchen dich, ohne dich geht’s nicht auf!“ Das war wohl nichts mit dem leisen Abgang.

Wir spielten und spielten. Zwischendurch gab es eine kleine Pause, und dann ging es wieder weiter. Und wer glaubte, dass die Jungs mich fragten, ob ich morgen auch wieder komme, der irrt sich. Denn sie liessen mich eigentlich gar nicht entscheiden. „Cool dass du da warst, bis morgen um 18:00 Uhr, wieder hier“, meinte einer. Ja gut, da wusste ich ja, was ich am nächsten Abend machte.

Diese Basketball Gruppe war wirklich speziell. Wir trafen uns jeden Abend über die Sommer Monaten um 18:00. Es gab ein paar Stammspieler, und ein paar die unregelmässig kamen. Aber es hatte immer genug für ein Spiel. Ja, und auch wenn sich das die jüngeren Leser nicht vorstellen können, das klappte ganz ohne Handy. Die Gruppen machten wir selbst, und wir schauten auch für die fairness. Fouls gab man in der regel selbst zu, und es wurden keine Punkte gezählt. Wir waren zwar ehrgeizig, aber nicht verbissen. Das Spiel endete meist dann, wenn wir vor Dunkelheit die Körbe nicht mehr sahen. Und das wetter war natürlich nie eine Ausrede.

Diese Abende waren für mich Gold wert. Nicht nur wegen dem Sport, sondern auch wegen der Freundschaft. Und falls das einer der Jungs von damals liest, DANKE für die Zeit, ich denke noch heute ab und an daran.

Stützradkrimi – Unnötige Barrieren im Kopf

Von nun an war UHC Einhorn Hünenberg ein fester Bestandteil meines Lebens. Die Heimspiel Daten waren heilig und die Spieler meine Vorbilder. Ja, meine Kollegen an der Schule haben mich nicht verstanden, weshalb ich so ein kleinen Hobbyclub verehrte und nicht mehr den grossen Eishockey Profi Verein der Umgebung. Aber das war mir egal. Ich stand jeden Spielabend in der Halle und feuerte meine Mannschaft lautstark an.

Auch wenn ich durch den Unihockey Club erste Kontakte zu Nichtbehinderten knüpfte, die nicht irgendwelche Familiäre Verbindungen hatten, war ich nicht glücklich. Mir fehlte etwas, und ich wusste nicht was es war. Eigentlich sollte es mir gut gehen, ich hatte eine intakte Familie, Freunde in der Schule, und ich hatte auch Kontakt ins Dorf. Doch genau da lag der Haken. Ich hatte so gut wie kein Kontakt zu Gleichaltrigen.

Das Problem war, dass ich auf eine Sonderschule ging, aber nicht dort im Internat war. Solche Behinderteninstitutionen kann man sich wie eine Parallelwelt vorstellen. Sie sind eigentlich dazu gemacht, das Behinderte dort Leben. Das Konzept basiert darauf, dass Behinderte in der offenen Gesellschaft meist keine Freunde finden. Das ständige gemeinsame soll dieses Manko etwas kompensieren.

Ja, es gibt behinderte die blühen unter solchen Bedingungen regelrecht auf, ich gehörte nie dazu! Ich brauchte Normalität und die Welt da draussen. In den Behinderteninstitutionen war mir das alles zu fürsorglich, und zu defizitorientiert. Sicher war das meist nicht böse gemeint. Wenn die Erzieherinnen wieder mal ihr „Aber sei mal realistisch, du bist Behindert!“ auspackten, wollten sie ihre Schützlinge nur vor Enttäuschungen bewahren. Ich konnte diesen Satz nicht mehr hören!

Trotzdem blieb irgendwie etwas von dem Ganzen bei mir hängen. Auch wenn mir das heute keiner glaubt, ich hatte Angst auf gleichalterige zuzugehen. Ich hatte Angst von anderen Jugendlichen wegen meiner Behinderung abgelehnt zu werden. Es war so eine irrationale Angst, denn ich hatte grösstenteils positive Erfahrungen mit Nichtbehinderten. Ich bildete mir ein, dass die ohne jeglichen Erwachsenen als Begleitung fies sein könnten.

Nach dem ich vor dem Einschlafen eine richtig üble Jugendkriese hatte mit vielen Tränen, beschloss ich, am anderen Tag ins Dorf zu gehen und Kontakt aufzunehmen. Das tat ich dann auch tat und ich fragte mich danach: „Warum hast du das nicht schon lange getan.“ Denn es waren alle nett und ich wurde mir bewusst was ich da für eine Mauer im Kopf hatte. Was nicht heissen soll, dass ich der einzige war, der eine Barriere im Kopf hatte.

Mit 18 schrieb ein Clubkollege von Einhorn eine Diplomarbeit über mich und meinen Werdegang. Er hat seine erste Begegnung mit mir sehr eindrucksvoll beschrieben. Was ich nicht wusste, er kannte mich schon lange und hat mich wohl in der Zeit, in der ich selbst zu Einhorn stiess das erste mal entdeckt. Er schrieb, dass er eigentlich ein Spiel schaute, doch dann sah er mich und das Spiel war völlige Nebensache. Er fragte sich, woher ich komme, wie ich heisse, und was ich mache… und natürlich warum ich so laufe. All diese Fragen wäre schnell beantwortet gewesen, doch er traute sich nicht, mich anzusprechen.

Diese Zeilen der Diplomarbeit haben mich sehr nachdenklich gestimmt. Bestimmt wären wir super Freunde geworden wenn wir einfach mal über den Schatten gesprungen wären, und Kontakt miteinander aufgenommen hätten. Stattdessen bauen wir Mauern in unseren Köpfen mit Klischees die vollkommener Schwachsinn sind.

Stützradkrimi – Unihockey holt mich auch Trotz Stützradfahrrad wieder ein

Unbenannt

Dieses Bild zeigt mich mit meinem ersten Stützradvelo. Ein Therapierad von Haverich. Es ist ein frühes Foto, da hatte ich noch kein Tachometer am Fahrrad. Das Foto ist nicht umsonst verschwommen, ich war zügig unterwegs. Dieses blaue Gefährt war für mich ein Heiligtum, dass man mir nicht nehmen durfte. Immer wenn es das Wetter irgendwie zuliess, war ich am Fahrradfahren. Wobei… der limitierende Faktor war da nicht selten meine Mutter. „Heute ist zu schlechtes Wetter, mach was drinen“, hiess es dann oft.

Doch manchmal konnte ich mich auch durchsetzen, und durfte im Regen rumkurven. So blöd das tönt, das war für mich immer ein spezieller Moment. Nichts von rumjammern wegen schlechtem Wetter. Nein, ich kämpfte sogar dafür, dass ich im schlechten Wetter trainieren durfte.

Doch es gab da ein ernstzunehmenden Konkurrenten zum Fahrrad. Es ist die „Krankheit“ Unihockey, die damals gerade in der Schweiz grassierte. Die Sportart legte in der Schweiz einen unvergleichlichen Boom hin und genau in diesem Boom durfte ich gross werden. Ich habe zwar das Unihockey seit des Schulwechsels etwas verloren, aber ganz los gelassen hat es mich nicht.

In der 5. Klasse hatten wir einen neuen Turnlehrer. Der stand neuen Sportarten aufgeschlossener gegenüber. Da spielten wir auch ab und zu Unihockey. Es gab nur ein Problem… die Schläger die wir hatten, waren sowas von nicht zu gebrauchen. Also wünschte ich mir auf meinen Geburtstag einen Unihockeystock. Das war ein ganz einfaches Teil. Eigentlich einfach ein Kunststoffrohr mit einer Plastikkelle dran, das wars. Besser als die Stöcke der Schule war er auf jeden Fall.

Die Unihockeystunden im Turnen wurden jeweils vorher angekündigt. Voller Stolz marschierte ich dann mit dem Stock Richtung Turnhalle. Das waren für mich immer ganz spezielle Momente. Die Vorbilder von uns waren damals übrigens noch die Eishockey Spieler des EV Zug’s. Legenden dieser Zeit: Ken Yaremchuk, Misko Antisin und Dino Kessler.

Unweigerlich nahm mich der Sport immer mehr in den Beschlag. Ich liebte es einfach, die Action, das sehen wie man sich verbessert, die Leistung. Ich war stolz auf meine kräftigen Oberschenkel und stolz über jeden coolen Spielzug den ich auf dem Feld machte. Ich war halt ein Sportler.

In den Augen meinen Eltern sah es wohl etwas anders aus. Sie haben zu diesem Zeitpunkt den Sport gar nicht als Sport gesehen, sondern einfach nur als ein Hobby, dass mir Freude bereitete. Die Verbissenheit konnten meine Eltern nie so recht verstehen.

Natürlich hatte ich als Kind nicht nur Sport gemacht. Musik war ein wichtiger Bestandteil. Ich sang regelmässig Solos in unserem Schulchor und in unserem alljährlichen Theater hatte ich gar einmal die Hauptrolle. Darüber waren meine Eltern vermutlich stolzer als über mein rumgehopse auf dem Sportfeld. Musik war für mich damals auch wichtig. Nur es gibt Gründe, weshalb ich später den Sport bevorzugen sollte.

Da ich den Heimweg aus der Schule nicht alleine Bewältigen konnte, wurde ich eine Weile von Leuten aus meinem Dorf abgeholt. Eines Abends sah mich eine Frau mit dem Unihockeystock. Auf der Rückfahrt fragte sie mich erstaunt: „Spielst du Unihockey?“ Ich geriet sofort ins Schwärmen. Sie sagte mir dass ihr Sohn bei UHC Einhorn Hünenberg spielt. „Was Hünenberg hat ein Unihockey Club? Wie cool ist das denn. Seit jenem Abend wusste ich, zu diesem Club gehöre ich. Doch wie soll ich da hin kommen? Jedes andere Kind hätte seine Mutter bekniet, es doch dort anzumelden. Aber ich war behindert… was will ich mich da anmelden, das gibt bestimmt gleich eine Ablehnung. Das mit dem nicht reinpassen in die Welt der Nichtbehinderten kennen wir ja schon von der Schule. Die kommende Zeit wird nicht so einfach für mich. Weil mir die Behinderung immer wieder im Wege stand. Doch das konnte ich nicht ändern. Ich musste da durch.

Die Vision einer Firma

Die Idee ist schon alt und entstand vor etwas mehr als 20 Jahren. Damals war ich zur „Beruflichen Abklärung“ in einer IV Institution. Ich erschrak als ich die Leute sah, die dort drin wahren. Da tummelten sich lauter fähige Leute, die einfach auf den Abstellgleisen deponiert wurden. „Wie vielen anderen Menschen geht das auch noch so?“ fragte ich mich. Und wie viele fähige Menschen landen in einer geschützten Werkstatt und verrichten Arbeit weit unter ihrem Niveau?

Seitdem begleitet mich dieser Gedanke, und liess mich nicht mehr los. Doch da der Sport lange Zeit für mich oberste Priorität hatte, blieb der Gedanke im Hintergrund. Doch meine Beteiligung an IT Kongressen brachte sie wieder ins Bewusstsein. An gewissen Kongressen lagen die Jobangebote buchstäblich auf dem Serviertablett. Gute ITler sind dermassen gesucht, dass man sie jagt. Der Markt ist so trocken das Rekrutierer selbst vor Leuten die Inhaber einer eigenen Firma sind, nicht zurückschrecken.

Auf der anderen Seite sitzen Leute mit Potential zu Hause, werden depressiv nur weil sie irgendwann mal durch irgend ein bescheuertes Raster gefallen sind. Wir erlauben uns ganz schöne Ressourcenverschwendung und jammern gleichzeitig über Mangelnde Fachkräfte. So geht’s nicht weiter Leute!!!

So drehte mein Ideenkopf mal wieder seine Runden. Nach einigen Schlaflosen Nächten hatte ich dann auch eine Idee zusammen, die sich diskutieren liess. In meinem Blog Blog 14 – Vefko als Sprungbrett? schrieb ich das erste mal über die Idee auf meinem Blog. Marc und ich diskutierten die Ideen untereinander. Danach hatten wir ein erstes Treffen mit Profil der Stelle der ProInfirmis die sich um Berufliche Integration kümmert. Doch der Entscheidende Moment war das Digital Forum Davos. Da kriegte ich dermassen positives Feedback, dass ich das Zeitnah umsetzen musste.

Um die grobe Strategie noch mal zu erwähnen. Die Beeinträchtigten fangen erst mal bei der Vefko an. Dort können sie sich wieder langsam an das Arbeitsleben gewöhnen, Erfahrungen sammeln und ihr Können unter Beweis stellen. Danach werden sie an Partnerfirmen ausgemietet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können sich so erst mal kennen lernen und man sieht ob die Person in das Umfeld passt. Und erst dann folgt der Transfer an die Firma. Somit kann sicher gestellt werden, dass genügend Zeit da ist, um das oft verstaubte Potential zu wecken, das oft angeknackste Selbstvertrauen zu wiederherzustellen, und die richtige Arbeitsstelle zu finden.

Ich möchte klar stellen, dass wir nicht eine der zahllosen „Och hilf den armen Behinderten“ Organisationen sein wollen. Wir sehen das eher umgekehrt. Wir Behinderten wollen der Überlasteten IT Branche ein Händchen reichen und unser Know How zur Verfügung stellen.

Auf lange Sicht, ist natürlich ein Verein die falsche Organisationsstruktur für so was. Deswegen steht mittelfristig die Gründung einer Firma im Raum. Ich Persönlich fände eine Genossenschaft ganz passend, Da könnte die Partnerfirmen sich beteiligen. Das ist allerdings noch lange nicht ausdiskutiert.

So, jetzt ist es raus! und ihr wisst, an was Raphael die letzten Wochen rumgebrütet habt. Firmen die an einer Zusammenarbeit interessiert sind, melden sich bei mir. Mit etwas Glück kriegt ihr sogar ein paar Stunden von mir als Open Source Spezialist.

Anfragen könnt ihr an raphael(at)vefko.ch stellen.

Stützradkrimi – Ein Stück Normalität geht verloren

Für mich war die Welt der Sonderschulen so weit weg. „Ich bin ja nur ein bisschen Körperbehindert, in eine Sonderschule gehöre ich nicht,“ dachte ich. Doch im Hintergrund war das Thema „wie weiter mit dem kleinen Raphael“ schon längst auf der Liste. Denn in der dritten Klasse war der grosse Wechsel. In dem Schulhaus waren ja drei Klassen in einem Raum und von der Dritten aus ging es in die Mittelstufe. Die Lehrer am Schulhaus haben sich die Entscheidung bestimmt nicht leicht gemacht. Denn sozial war das Experiment Integration mehr als gelungen. Doch da die Lehrer damals keinerlei Unterstützung erwarten konnten, ging es einfach nicht mehr.

Richtig bewusst wurde mir das, als die dritte Klasse einen Schnuppertag in der oberen Etage machen durfte. Denn ich war da nicht dabei. Ich ging stattdessen mit meinen Eltern eine Schule für Körperbehinderte anschauen. Uns wurde die Schule gezeigt, die Leute waren super nett, doch ich fühlte mich nicht wohl. Überall nur Rollstühle, so weit das Auge reicht. Hier passte ich nicht hin. Da kann ich ja nicht mal Unihockey spielen… dachte ich. Die Tatsache, dass die Schule maximal ein Schulabschluss auf dem niedrigsten Regelschulniveau bot, liess meine Eltern weiter suchen.

Schlussendlich landeten wir in einer Schule für Sehbehinderte und Blinde. Na ja, für die Sehbehinderung brauchte man schon etwas Phantasie doch es reichte gerade noch für eine Aufnahme. Die Kleinen Klassen waren gut für mich. So hatte ich weniger Ablenkung und die Lehrer konnten mich schneller wieder aus den Traumwelten zurückholen. Es gab auch noch einen anderen Vorteil für mich. Ich konnte endlich auch am Turnen teilnehmen. Da war ich nämlich in der Regelschule immer suspendiert. Die Schule war in vielen Bereichen nah dran an der Regelschule. So wurde zum Beispiel mit dem offiziellen Lehrplan gearbeitet. Damals gab es auch immer wieder Leute die vom Sonnenberg in die Kantonsschule gewechselt haben. Meinen Eltern war es extrem wichtig diese Option offen zu halten. Mir war das damals übrigens auch noch wichtig, denn ich wollte eigentlich Studieren.

Dies täuscht nicht über die Enttäuschung hinweg. Die angestrebte Integration war gescheitert. Nun bin auch ich auf der Separationsschiene unterwegs. Mir war das nicht so wichtig. Für mich zählte nur, dass ich bald meine geliebte Klasse verlassen muss, und davor hatte ich Angst. Ich meine einige Kinder kannte ich da seit fast fünf Jahren, und wenn man ein 11 Jähriger Junge ist, sind fünf Jahre fast das halbe Leben! Ich wurde herausgerissen, aus einem Ort wo ich mich dazugehörig fühlte, das war bitter!

Und so war der letzte Schultag dann auch einer meiner schwärzesten Tage in der Kindheit. Ich weiss nicht wie viele Tränen an diesem Tag geflossen sind, aber es waren viele. Speziell kam noch dazu, dass ich mich nicht in meiner Freizeit einfach so mit meinen damaligen Freunden Treffen konnte. Die Distanz war zu weit dafür. Die Neue Schule konnte bei mir auch niemals den Platz des Matten Schulhauses einnehmen. Matten war ein Ort wo ich Freunde traf, Sonnenberg war halt für mich nur noch eine Schule.

Die Freundschaften des Schulhaus Mattens liefen sich schnell auseinander. Doch einige werde ich wiedersehen. An einem anderen Ort und aus einem anderen Grund. Ein Kapitel ist zu Ende und ein neues Beginnt. Die Geschichte geht weiter.