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Stützradkrimi – Der beste Fan oder noch mehr?

Es ging wieder auf eine Unihockey Saison zu, und ich war wieder an vorderster Front mit dabei, wenn es hiess, mein Team anzufeuern. Ich war definitiv der Fan, der dem Team am nächsten war. Die Spiele verbrachte ich nicht mehr auf der Zuschauerbank sondern unten an der Bande. Nicht dort wo die Spieler waren, denn das wäre ein Reglementverstoss gewesen, dort dürfen nämlich nur die offiziellen Betreuer hin. Meistens Stand ich hinter der Ecke hinter dem Tor. Neben dem dass ich immer wieder kräftig anfeuerte, war ich aber meist auch am Banden richten. Im Unihockey verschieben sich Banden in harten Zweikämpfen oder sie fallen gar auseinander. Jemand muss dann ganz schnell das Problem wieder beheben, damit das Spiel nicht unterbrochen werden muss. Manchmal half ich auch bei den Strafen aus, da musste man die Spieler nach abgelaufener Straffe wieder aufs Feld schicken. Ich machte mich halt nützlich wo ich konnte.

Immer öfter tauchte ich auch in den Trainings der ersten Mannschaft auf. Auch da half ich immer wieder. Sei es verschossene Bälle zurück ins Feld zu spielen oder die Bälle einsammeln. Ich war also ein bisschen Balljunge. Im Gegenzug konnte ich den etwa 5 m Breite Streifen neben dem Feld nutzen um Wand ab zu spielen, und so meine Schussfähigkeit zu verbessern. Wenn die Mannschaft mal nur das halbe Spielfeld brauchte (z.B. bei einer Übung), konnte ich sogar auf der anderen Hälfte aufs leere Tor ballern. So lange ich das Training nicht störte war das ok. Und darauf habe ich immer geachtet. Denn ich wollte ja, dass „meine“ Mannschaft gut trainieren konnte. Das schönste war aber sicher, wenn sich mal einer der Spieler Zeit nahm um mit mir ein bisschen zu spielen. Vor allem der eine Schwede forderte mich immer wieder heraus. Da sagte ich natürlich nicht nein, auch wenn der mich meist schwindelig spielte.

Ja, ich war schon ein richtiger Fanboy. Allerdings war es halt nicht die typische Fan Beziehung in der der Spieler den Fan überhaupt nicht kennt. Die Spieler waren sowas wie Freunde für mich aber ich bewunderte sie eben auch. Mir hätte man viel nehmen dürfen, aber nicht mein Einhorn. Für mich war das ein Platz wo ich all meine Probleme draussen lassen konnte. Vor allem war es aber ein Platz wo ich nicht auf meine Behinderung reduziert wurde, und das ist vermutlich das beste was man für einen Behinderten tun kann. Erfordert aber auch von dem Behinderten selbst, dass er sich nicht ständig auf die Behinderung bezieht. Aus der Sicht von damals war ich immer etwas unglücklich, dass ich Einhorn Hünenberg nicht mehr zurückgeben konnte. Doch ich glaube, ich bedeutete den Spieler wesentlich mehr, als mir je bewusst war.

Ich dachte halt, nur weil ich da etwas „Hopp Einhorn“ schreie, bin ich noch lange keine wichtige Person. Natürlich weiss ich bis heute nicht vollends, was ich einzelnen Spielern bedeutet habe, doch spätestens als ich selbst Fans hatte, wusste ich wie krass ich die Wirkung meines Anfeuerns unterschätzte. Auf jeden Fall so viel, dass das Team mal etwas für mich tun wollte (obschon sie das schon dauernd taten, ohne es vielleicht zu merken). Ich hatte unlängst Geburtstag, und es war ein Heimspiel angesagt. Ich war etwas spät dran, das Spiel lief schon fünf Minuten. Ich ging meinen gewohnten Weg, und wurde aber gleich vom Schweden (Er kein Deutsch und ich kein Englisch) abgefangen. Mit Händen und Füssen lotste er mich in die Spieler Garderobe und gab mir ein Original Spielertrikot. Darauf haben alle Spieler unterschrieben. Zurück in der Halle meinte ein Spieler: „Das musst du jetzt aber anziehen. Wir wollten dich eigentlich vor dem Spiel zum besten Fan von Einhorn ehren, aber du warst ja nicht da.“

Ab jetzt hab ich wohl keine Ausreden mehr, ich gehöre zum Team. Denn ausser mir und den Spielern hatte niemand dieses Trikot. Viele Fans würden sich über ein signiertes Trikot freuen, doch für mich hatte das noch eine ganz andere Bedeutung. Mit dem Shirt setzte das Team ein klares Zeichen und sagte: „Du bist einer von uns, und egal was da kommt, wir stehen hinter dir!“ Und wie ernst sie das meinen, erfahrt ihr in der kommenden Folge.

Stützradkrimi – Enttäuschung in der Schule

In der neuen Schule ging es erst mal wieder aufwärts. Die kleineren Klassen taten mir gut. Ich war konzentrierter beim Unterricht, und so stiegen auch meine Noten erst mal wieder an. Ich hatte allerdings eine grosse Schwäche, und das war die Rechtschreibung. Egal wie viel Mühe ich mir gab, ich kapierte das nicht. Aufsätze hatte ich von der Idee und vom Stil her immer gute, aber sie kamen feuerrot wieder zurück. Mein ursprüngliches Ziel war es in die Kantonsschule (Gymnasium) zu wechseln. Der Übertritt fand von der sechsten zur siebten Klasse statt. Mir wurde relativ schnell klar, dass die Kantonsschule eine Utopie war. Ausser der Kantonsschule gab es noch zwei weitere reguläre Stufen, die ich auch an der Sonderschule machen konnte. Sekundar als zweithöchste Stufe, und Real als dritthöchste Stufe. Speziell an meiner Schule damals war die sogenannte integrierte Oberstufe. Alle waren in einer Klasse, nur für die Hauptfächer wurde die Klasse geteilt. In Niveau A (Sek) und Niveau B (Real)

In Mathe war ich gut, und so war mein Ziel, zumindest da ins Niveau A zu kommen. Das hätte mir auch für die Berufswal andere Möglichkeiten eröffnet. Die damals neu geschaffene Lehre zum Informatiker zum Beispiel erforderte in Mathe einen Sek Abschluss. In Mathe gab ich mir in der Sechsten Klasse noch mal richtig Mühe. Den erforderten Notenschnitt erreichte ich auch. Man hat mich trotzdem in Niveau B eingeteilt. Begründet wurde dies, weil ich gesamthaft gesehen eher ein guter Realschüler bin. Man sagte mir, ich könne Wechseln, wenn ich im Niveau B gute Leistungen bringe und die Noten stimmen.

Im Neveau B war ich in der Mathe eigentlich vollkommen fehl am Platz. Ich war von Anfang an hoffnungslos unterfordert. Während die Andern mühsam versuchten sich den Stoff in die Birne zu quetschen, lernte ich meist alles schon in der ersten Unterrichtsstunde. Es ging nicht lange, und da kam der Lehrer mit einem speziellen Buch für mich angelaufen. „Hier, das ist das Geometrie Buch der Kantonsschule.“ Immer wenn ich alles durchgeackert hatte, durfte ich zum Dessert noch eine Knacknuss aus dem Kanti Buch machen.

Schnell bürgerte es sich ein, dass ich bei den Prüfungen immer eine 6 (höchste Note in der Schweiz) erhielt. Und der Lehrer schenkte mir da nichts. Ich setzte mir zum Ziel im Notenschnitt einen Sechser zu haben. Der Lehrer wusste das, und spannte mich bei jeder Prüfungsrückgabe auf die Folter. Mit ernstem Blick meinte er dann jeweils. „Und Raphael… hmm. diesmal… diesmal reichte es leider… nur… für eine Sechs“ Während die anderen schon mit einem Fünfer glücklich waren, war für mich alles scheisse was nicht ein Sechser war.

Eigentlich rechnete ich damit, dass ich schon im ersten Semester hochgestuft werde. Doch man vertröstete mich auf das Neue Schuljahr. „Niveauwechsel sind nur Ende des Schuljahres möglich“, teilte man mir mit. Ende Jahr hatte ich eine glatte 6 im Zeugnis in der Geometrie und In Mathe hatte ich eine Prüfung eine 5,5 also reichte es leider nicht ganz für die Sechs. Aber die Noten sprachen Klartext.

Die Enttäuschung war gross, als ich auf das nächste Jahr nicht in das Niveau A befördert wurde. Als Grund nannten die Lehrer die fehlenden Hausaufgaben in anderen Fächern. „Ich soll mich erst mal in anderen Fächern bemühen, dann könne man darüber diskutieren.“ Klar war ich kein Einfacher Schüler, aber die Idee dass ich mir anderswo mehr Mühe geben würde, wenn ich in der Mathe erst mal nicht für meine Leistungen belohnt werde, ist gründlich in die Hose gegangen. Nach dem man mich zwei mal vertröstet hatte, und ich mich wirklich bewiesen habe, verlor ich das Vertrauen in die Versprechungen. Folgedessen gab ich mir im Neuen Schuljahr auch in Mathe nicht mehr so Mühe. „Es bringt ja doch nichts.“ dachte ich mir.

Die Sonderschulen liefen nach dem Prinzip, als Behinderter musst du erst mal Routinetätigkeiten sauber und schnell machen. Denn vermutlich werden die meisten Schüler später… wenn sie denn einen Job haben. eine einfache Routinetätigkeit nachgehen . Talente fördern kam erst an zweiter Stelle.

Stützradkrimi – Schockerkenntnis auf dem Basketballplatz

Die Welt war zu diesem Zeitpunkt in Ordnung. Ich hatte Freunde, mein Unihockeyclub, und auch mit der Behinderung hatte ich mich arrangiert. Ich wusste zwar, dass ich diese für immer haben werde, das war aber ok für mich. Ich war mal wieder nach der Schule mit meinem Fahrrad in Richtung Basketballplatz unterwegs. Ich hatte keine Ahnung dass an diesem Tag Sport für mich eine ganz andere Bedeutung bekommt.

Es begann mit einer ganz normalen Szene unter dem Korb, wie sie halt hunderte male passiert. Ich sprang hoch um mir den Rebound zu holen. Für alle die jetzt Basketball nicht kennen, ein Rebound ist der Ball der nach einem missglückten Wurf vom Korb abprallt. Ich bin relativ klein, ausserdem auch nicht der Sprungstärkste. Normalerweise holte ich die Rebounds nicht, und wenn ich es doch mal schaffte machte ich nach der Landung meist Schrittfehler. Doch dieses mal meisterte ich das souverän.

Ich spielte an jenem Abend einfach wesentlich besser. Es war nicht einfach nur eine gute Phase. Irgendwann schrie ein Freund der im Gegenteam spielte halb frustriert, hab begeistert: „Verdammt Raphi, was ist los mit dir! du spielst ja viel besser als sonst!“ Das brauchten sie mir nicht zu sagen, das merkte ich ja selbst. In der Pause sprachen mich die Jungs noch mal an. „Mal im Ernst Raphi, irgendwas ist anders, was ist los?! Vorhin hatten wir einen Zusammenstoss in der Luft, und du spielst einfach weiter, als ob nichts gewesen wäre. Normalerweise fällst du doch da um.“ „Ich glaube, ich habe mehr Gleichgewicht“, meinte ich leise.

Zum ersten mal seit einem Jahrzehnt wurde ich mit dem Thema Fortschritte konfrontiert. Mich traf dieses Thema sehr, da ich eigentlich damit abgeschlossen hatte. Für mich waren Fortschritte immer mit der Intensivtherapie nach Doman verbunden, die meine Eltern im frühen Kindesalter mit mir machten. Aber was hat diesen Fortschritt ausgelöst. Es war Schulferien, und ich hatte keine Physio. Aber ich war jeden Tag sicher drei Stunden am trainieren. Hat der Sport diese Fortschritte ausgelöst?! Bei dem Gedanken lief es mir kalt den Rücken herunter. Erst allmählich wurde mir klar, was da passiert.

Die Wahrheit war, ich machte tonnenweise Fortschritte, ich hab sie einfach nicht erkannt. Ich hatte in den Jugendjahren nur ein Ziel, so nah wie möglich an die Leistung der Nichtbehinderten ranzukommen. Ich war so auf die Leistung der Nichtbehinderten fokussiert, das ich meine Fortschritte schlicht übersah. „Wenn Sport Fortschritte mit sich bringt… was passiert, wenn ich weiter trainiere? Dann müsste die Behinderung ja irgendwann wegtrainiert sein.“ Dieser Gedanke liess mich nicht mehr los. Nicht weil ich unbedingt normal gehen wollte, sondern weil von dem Gedanken für mich eine unglaubliche Kraft ausging. Bis dahin war mein Ziel, irgendwann mal ein internationaler Behindertensportler zu sein. Man hat als Jugendlicher da so Bilder vor sich, wie man an den Paralympics mit dem Trikot der Schweizer Nationalmannschaft in die Arena einläuft. Die Vorstellung vom Empfang am Flughafen, wenn man – als Held gefeiert – wieder Heimischen Boden betritt. Die Autogramme die man geben kann, die Vorbildfunktion die einem zukommt, das sind tolle Gedanken. Aber der Ruhm im Sport ist sehr vergänglich. Die Helden von heute sind morgen schon vergessen.

Und was sind ein paar Goldmedaillen gegen das andere Ziel. Ich meine, ICP gilt als unheilbar. Was würde es für eine Welle nach sich ziehen, wenn ich die Mauer „Unheilbar“ niederreissen könnte. Dieser Gedanke war gerade zu Übermächtig. Das Risiko zu scheitern ist unendlich gross. „Wenn du das nicht versuchst, wirst du das vielleicht dein Leben lang bereuen. Du wärst ein verdammter Feigling“ sagte ich zu mir. „Du musst es versuchen, egal wie bitter, egal wie hart es wird. Du musst es tun, für dich und für die anderen ICP’ler!“ Sagte ich während mir die Tränen runterliefen.

An jenem Abend fällte ich eine Entscheidung meines Lebens. Ich nahm den Kampf mit meiner Behinderung auf. Und genau dieser Kampf ist der Grund, warum ich meine Geschichte in Blogform mache. Denn sie ist noch nicht Abgeschlossen. Heute weht die Schlachtfahne mehr denn je. Diese Geschichte hat erst letztens auf Sport of Hope begonnen.

Stützradkrimi – Behindertensport Lager

Die Sommerferien kamen näher, und natürlich diskutierten wir auch auf dem Basketballplatz, was wir dann in den Ferien machen. Klar, wir spielen Basketball, wer hätte das gedacht! „Raphi, kommst du auch mit ins Tenero Lager?“, fragte mich einer der Jungs. „Das ist ein Sportlager, voll cool.“ Dummerweise hatte ich mich bereits für ein Behindertensportlager angemeldet, das in der selben Woche stattfand. Wir waren also alle in den Sportlagern.

Ich liebte Lager, keine Ahnung wieso, ich liebte es einfach. So Reiste ich mit meinen Eltern voller Erwartungen in den Twannberg. Das ist ein Feriendorf für Behinderte Menschen im Schweizer Jura. Ich war mit Unihockeystock und Rollstuhl dabei. Den Rollstuhl hatte ich vor allem für den Fall einer Verletzung dabei… Falls laufen nicht mehr gehen sollte, kann ich immer noch im Rollstuhl weitermachen 😉

Die Lagerleiterin, Nelly Lippuner begrüsste mich mit den Worten: „Wow, hast du dein Unihockeystock mitgebracht, den wirst du hier brauchen!“ Da war für mich die Woche schon gerettet. Meine Eltern verabschiedeten sich, und die Lagerteilnehmer lernten einander kennen. Es wurde auch Sport gemacht, damit die Leiter die Gruppen einteilen konnten. Es wurde in drei Gruppen unterteilt. Die Gruppe 3 waren vorwiegend Schwerst- Mehrfachbehinderte. Die machten Spiele und Übungen im Aufenthaltsraum. Die Gruppe zwei war schon eine Gruppe die ordentliches Sportprogramm zu bewältigen hatten, allerdings eher auf spielerische Art und Weise. Die Gruppe eins war die Drill Gruppe, und das wurde auch so kommuniziert. Da fand richtiges Training und nicht einfach nur Fun statt.

Am nächsten Morgen Gruppeneinteilung. Ich habe es in die Gruppe 1 geschafft. Ich freute mich riesig darüber, denn für mich war das eine Leistungsbestätigung. Da die Halle und der Aufenthaltsraum schon besetzt waren, blieb uns noch die Outdoor Anlage. Ein Hardplatz, eine Spielwiese und eine Asphaltierte 80m Bahn. Und die Warnungen, dass dies die „Foltergruppe“ ist, waren nicht umsonst. Behindertenbonus konnte man sich in dem Lager sowieso eher abschminken. Geklöne wurde meist mit einem Spruch wie: „Hey hab dich jetzt nicht so“ von den Trainern quittiert. Es herrschte Leistungssportmässige Disziplin auf dem Feld und wir wurden rumgescheucht.

Ich kann mich nur noch an eine Szene erinnern, da waren wir alle schon relativ kaputt. Die Sonne brennte von oben und der Heisse Asphalt von unten. Da meinte der Trainer plötzlich. „Leute, alle auf die Linie, ihr wisst was zu tun ist.“ Wir schauten uns alle fragend an, Linienläufe? Jetzt? Will der uns umbringen?! „So kommt Leute, es wird nicht einfacher, wenn ihr es hinauszögert!“ meinte der Coach und klatschte dabei in die Hände um uns zu motivieren. Alle machten diesen Linienlauf, auch wenn wir schon auf dem Zahnfleisch liefen.

Wir gingen jeden Abend komplett ausgepowert ins Bett. Und wie geil das ist, verstehen nur Sportler. Ich liebte es, an meine Grenzen und vielleicht auch mal darüber hinaus zu gehen. Und in einer motivierten Gruppe geht man immer noch ein gutes Stück mehr an die Grenze als alleine. Und genau das machte das Lager aus.

Es gab aber noch eine ganz andere Botschaft die ich aus dem Lager mit nach Hause nahm. Bis zu dem Zeitpunkt machte ich vor allem Sport mit Nichtbehinderten oder alleine. Mit meinen eigenen Leistungen war ich sowieso selten zufrieden, und im Vergleich zu meinen nichtbehinderten Freunden schloss ich immer schlechter ab. Natürlich wusste ich, dass ich das nicht direkt vergleichen darf. Aber wenn man nie einen anderen Vergleich hat, wird das Bild der eigenen Leistung immer verzerrter. Die Woche im Behindertensport Lager ging zwar viel zu schnell vorbei, zeigte mir aber, dass ich unter Behinderten im Ballsportbereich durchaus vorne mithalten kann.

Dies tat mir unglaublich gut, denn ich wusste, dass die unzähligen Stunden auf dem Sportfeld nicht vergebens waren und das ich unbedingt weiter machen muss.

Stützradkrimi – Basketball als neues Hobby

Mittlerweile hatte ich mich im Dorf schon etwas eingelebt. Einige Jugendliche kannten mich bereits, und Barriere ist wesentlich kleiner geworden. Eines Abends streifte ich wieder mal mit meinem Stützradfahrrad durch das Dorf, als ich plötzlich ein paar Jungs Basketball spielen sah. Mich interessierte das, und so fuhr ich mit meinem Fahrrad auf den Platz.

„Willst du auch einen Wurf“, fragte der eine. Natürlich bejahte ich, denn Basketball ist nach Unihockey und Fahrrad meine drittliebste Sportart. Und wie es der Zufall wollte, ich traf sofort. „Woho, das musst du wiederholen“, meinte der Junge zu mir und warf mir den Ball noch mal zu. Zweiter Schuss, knapp vertroffen. „Komm noch mal“, meinte er. Und wieder war er drin. „Nicht schlecht, woher kannst du so gut spielen?“
„Ach treffen konnte ich schon immer“, meinte ich zu ihm.

Wir stellten uns gegenseitig vor, und dann spielten wir weiter. Ich fand das cool einfach mal mit anderen gleichaltrigen Nichtbehinderten Sport zu machen. Ausserdem waren mir die Jungs sehr sympathisch. Wir waren mitten im Werfen als plötzlich noch zwei weitere erschienen. „Wir haben um 18:00 abgemacht wo wahrt ihr?“ „Sorry Hausaufgaben!“, meinten die Neuankömmlinge. Ach das Problem kommt mir bekannt vor, dachte ich. Und plötzlich waren wir 6 Leute auf dem Platz. „Ok Jungs, spielen wir?“ fragte einer.

Oh nein, die wollen jetzt spielen, da darf ich bestimmt nicht mitmachen, dachte ich. Da ich mich nicht aufdrängen wollte, ging ich schon mal zu meinem Fahrrad. Die Jungs auf dem Feld diskutierten. „Wir sind drei gegen zwei, das geht nicht auf“ meinte der eine. Einer der neu dazugekommenen: „Und was ist mit dem da draussen, spielt der nicht mit?“ Ein anderer: „Raphi, wir brauchen dich, ohne dich geht’s nicht auf!“ Das war wohl nichts mit dem leisen Abgang.

Wir spielten und spielten. Zwischendurch gab es eine kleine Pause, und dann ging es wieder weiter. Und wer glaubte, dass die Jungs mich fragten, ob ich morgen auch wieder komme, der irrt sich. Denn sie liessen mich eigentlich gar nicht entscheiden. „Cool dass du da warst, bis morgen um 18:00 Uhr, wieder hier“, meinte einer. Ja gut, da wusste ich ja, was ich am nächsten Abend machte.

Diese Basketball Gruppe war wirklich speziell. Wir trafen uns jeden Abend über die Sommer Monaten um 18:00. Es gab ein paar Stammspieler, und ein paar die unregelmässig kamen. Aber es hatte immer genug für ein Spiel. Ja, und auch wenn sich das die jüngeren Leser nicht vorstellen können, das klappte ganz ohne Handy. Die Gruppen machten wir selbst, und wir schauten auch für die fairness. Fouls gab man in der regel selbst zu, und es wurden keine Punkte gezählt. Wir waren zwar ehrgeizig, aber nicht verbissen. Das Spiel endete meist dann, wenn wir vor Dunkelheit die Körbe nicht mehr sahen. Und das wetter war natürlich nie eine Ausrede.

Diese Abende waren für mich Gold wert. Nicht nur wegen dem Sport, sondern auch wegen der Freundschaft. Und falls das einer der Jungs von damals liest, DANKE für die Zeit, ich denke noch heute ab und an daran.

Stützradkrimi – Unnötige Barrieren im Kopf

Von nun an war UHC Einhorn Hünenberg ein fester Bestandteil meines Lebens. Die Heimspiel Daten waren heilig und die Spieler meine Vorbilder. Ja, meine Kollegen an der Schule haben mich nicht verstanden, weshalb ich so ein kleinen Hobbyclub verehrte und nicht mehr den grossen Eishockey Profi Verein der Umgebung. Aber das war mir egal. Ich stand jeden Spielabend in der Halle und feuerte meine Mannschaft lautstark an.

Auch wenn ich durch den Unihockey Club erste Kontakte zu Nichtbehinderten knüpfte, die nicht irgendwelche Familiäre Verbindungen hatten, war ich nicht glücklich. Mir fehlte etwas, und ich wusste nicht was es war. Eigentlich sollte es mir gut gehen, ich hatte eine intakte Familie, Freunde in der Schule, und ich hatte auch Kontakt ins Dorf. Doch genau da lag der Haken. Ich hatte so gut wie kein Kontakt zu Gleichaltrigen.

Das Problem war, dass ich auf eine Sonderschule ging, aber nicht dort im Internat war. Solche Behinderteninstitutionen kann man sich wie eine Parallelwelt vorstellen. Sie sind eigentlich dazu gemacht, das Behinderte dort Leben. Das Konzept basiert darauf, dass Behinderte in der offenen Gesellschaft meist keine Freunde finden. Das ständige gemeinsame soll dieses Manko etwas kompensieren.

Ja, es gibt behinderte die blühen unter solchen Bedingungen regelrecht auf, ich gehörte nie dazu! Ich brauchte Normalität und die Welt da draussen. In den Behinderteninstitutionen war mir das alles zu fürsorglich, und zu defizitorientiert. Sicher war das meist nicht böse gemeint. Wenn die Erzieherinnen wieder mal ihr „Aber sei mal realistisch, du bist Behindert!“ auspackten, wollten sie ihre Schützlinge nur vor Enttäuschungen bewahren. Ich konnte diesen Satz nicht mehr hören!

Trotzdem blieb irgendwie etwas von dem Ganzen bei mir hängen. Auch wenn mir das heute keiner glaubt, ich hatte Angst auf gleichalterige zuzugehen. Ich hatte Angst von anderen Jugendlichen wegen meiner Behinderung abgelehnt zu werden. Es war so eine irrationale Angst, denn ich hatte grösstenteils positive Erfahrungen mit Nichtbehinderten. Ich bildete mir ein, dass die ohne jeglichen Erwachsenen als Begleitung fies sein könnten.

Nach dem ich vor dem Einschlafen eine richtig üble Jugendkriese hatte mit vielen Tränen, beschloss ich, am anderen Tag ins Dorf zu gehen und Kontakt aufzunehmen. Das tat ich dann auch tat und ich fragte mich danach: „Warum hast du das nicht schon lange getan.“ Denn es waren alle nett und ich wurde mir bewusst was ich da für eine Mauer im Kopf hatte. Was nicht heissen soll, dass ich der einzige war, der eine Barriere im Kopf hatte.

Mit 18 schrieb ein Clubkollege von Einhorn eine Diplomarbeit über mich und meinen Werdegang. Er hat seine erste Begegnung mit mir sehr eindrucksvoll beschrieben. Was ich nicht wusste, er kannte mich schon lange und hat mich wohl in der Zeit, in der ich selbst zu Einhorn stiess das erste mal entdeckt. Er schrieb, dass er eigentlich ein Spiel schaute, doch dann sah er mich und das Spiel war völlige Nebensache. Er fragte sich, woher ich komme, wie ich heisse, und was ich mache… und natürlich warum ich so laufe. All diese Fragen wäre schnell beantwortet gewesen, doch er traute sich nicht, mich anzusprechen.

Diese Zeilen der Diplomarbeit haben mich sehr nachdenklich gestimmt. Bestimmt wären wir super Freunde geworden wenn wir einfach mal über den Schatten gesprungen wären, und Kontakt miteinander aufgenommen hätten. Stattdessen bauen wir Mauern in unseren Köpfen mit Klischees die vollkommener Schwachsinn sind.

Stützradkrimi – Eine Lektion fürs Leben

Wir schreiben das Jahr 1994. In Hünenberg steht eine grossen Gemeindefeier an. Denn die neue Dreifachturnhalle ist fertig. Bei der Eröffnung gab es auch ein Rollstuhlbasketball Spiel dass ich unbedingt sehen wollte. Nach dem Rollstuhlbasketball war dann auch noch ein Spiel des UHC Einhorn Hünenberg. Es war glaub ich ein Schweizer Cup Spiel. Eigentlich wollte ich nur das Rollstuhlbasketball Spiel ansehen. Ich hatte Angst von den Einhörner nicht aufgenommen zu werden.

Ich sprach nach dem Basketball Spiel noch mit ein paar Spielern und dann sah ich plötzlich, dass in der Turnhalle Banden aufgestellt wurden. „Moment, das ist Unihockey!?!“ Ich kannte die Sportart nur als Pausenplatzspiel und war komplett begeistert von der professionellen Ausrüstung die da aufgefahren wurde. Total fasziniert blieb ich in der Halle kleben. Das Umfeld rund um mich herum wechselte, und ich merkte es nicht mal. An diesem Tag merkte ich, hier gehöre ich hin. Ich bin ein Einhorn.

Zwei Wochen später machte mich mein Vater drauf aufmerksam dass er im Veranstaltungskalender der Gemeinde ein weiteres Spiel der Einhörner gesehen habe. „Oh ja, da muss ich hin.“ Nun war alle Angst vom abgestossen werden verschwunden. Schliesslich hat mich das letzte mal auch niemand ausgelacht. Doch es soll noch extremer kommen.

Ich feuerte „meine“ Mannschaft lautstark an. Vermutlich war ich der lauteste in der Halle. Ich war wohl so laut, dass sogar die Spieler auf mich aufmerksam wurden. So viele Zuschauer gab es da auch nicht. Jedenfalls, das Spiel war fertig und ich wollte eigentlich gehen, als plötzlich zwei Spieler vor mir standen. „Danke fürs Anfeuern“, meinte der eine und der andere: „Wie heisst du?“ Schon rein die Frage verwirrte mich, denn normalerweise wollten die Leute immer erst wissen, was ich hatte.
„Ich heisse Raphael, kannst mir auch Raphi sagen.“
„Sehr schön, ich bin Fabian“, meinte der Spieler.
„Ich bin halt ein bisschen Behindert“, sagte ich. Darauf wurde das Gesicht des Spielers ernst und dann sagte er recht energisch: „Hör mir jetzt gut zu, hier in dieser Halle, in diesem Club bist du einfach nur Raphi. Deine Behinderung ist hier scheiss egal und interessiert hier niemanden! Wichtig ist nur, das du zu uns gefunden hast. Herzlich willkommen in der Einhorn Familie.“ Das krasse war, dass das nicht nur blosse Worte waren. Es war wirklich so. Es war das allererste mal, wo meine Behinderung von Menschen einfach ignoriert wurde. Wo sie einfach keine Rolle spielte. Einhorn Hünenberg und ich schmolzen extrem schnell zusammen. Es war genau das was ich brauchte. Ein Ort wo die Behinderung eben nicht zählte.

Stützradkrimi – Angst um meine Gesundheit

Mittlerweile trainierte ich extrem. Es verging kein Tag ohne eine gehörige Portion Sport. Eine Stunde war das minimum. Schulturnen zählte ich natürlich schon gar nicht mehr zum Training. Doch manchmal hatte ich verletzungsbedingte Ausfälle. Es waren keine Akute Verletzungen sondern Entzündungsgeschichten. Ich war am körperlichen Leistungslimit angelangt. Manchmal konnte ich bis zu einer Woche nicht mehr gehen. Das war der Horror.

Während ich mich einfach nur über die Verletzungsausfälle nervte, machten sich die Erwachsenen Sorgen um eine Gesundheit. In einer Zwischenkontrolle im Zürcher Kinderspital wurde mir sogar gesagt dass ich aufpassen soll. Unihockey wäre wohl nicht die richtige Sportart für mich. Das habe viel zu hohe Belastungen. Ich solle doch besser was sanfteres wie Schwimmen oder Fahrradfahren machen. Tatsächlich war Unihockey keine gute Wahl, wenn man im Behindertensport was erreichen will. Denn die Sportart gab es im Behindertensport noch gar nicht. Man prophezeite mir sogar, dass ich, wenn ich so weiter mache, mit 20 nicht mehr gehen kann. Das war einer der schlimmsten Arztbesuche die ich hatte.

Schweren Herzens nahm ich mir vor, mich nun auf das Fahrrad fahren zu konzentrieren. Ja Leute ich meinte das sehr ernst. Denn ich habe es geschafft, eine Woche keinen Stock in die Hände zu nehmen. Dann ertappte ich mich wieder auf dem Feld. Ich liebte diese Sportart einfach zu sehr, um sie aufzugeben!

Mir wurde ein Rollstuhl angepasst. Gesagt wurde mir, dass dies nur für den Sport sei und für die Tage an denen ich nicht laufen kann. Ich weiss aber heute, dass man damals die Befürchtung hatte, dass ich irgendwann in den Rollstuhl fallen werde. Damit ich schon mal den Umgang mit dem Gerät lernte, bekam ich Rollstuhltraining. Wir hatten schon zwei Rollstuhlfahrer in der Schule und dann kamen noch drei externe dazu. So wurde eine Kinderrollstuhlgruppe zusammengestellt. Für Sport war ich immer zu haben, und so machte ich auch hier gerne mit.

Die Verletzungen weiss ich heute was es war. Ich war damals stark im Wachstum, und hatte daher Wachstumsprobleme. Mit Beginn der Pubertät verändern sich auch die Muskeln und bekommen einiges mehr an Power. Während sich die Muskeln sehr schnell aufbauen, brauchen die Sehnen und Knochen einiges länger. In dieser Zeit entsteht eine Überbelastung der Sehnen und Sehnenansätzen. Ein eigentlich bekanntes Problem unter Sportler. Das Problem war, dass ich damals nicht in einem Sportlerumfeld war und so konnte mich niemand auf die Problematik hinweisen.

Ich war einfach ein bisschen zu hart am Limit dran. Man hätte die Trainings zu dieser Zeit nicht so sehr auf Kraft sondern mehr auf Technik und Koordination auslegen sollen. Aber das wusste ich damals halt nicht. Wo die Erwachsenen bereits Abnützungserscheinungen befürchteten waren im Prinzip ganz normale Sportverletzungen, wie sie jeder Spitzensportler kennt. Klar hätte ich diese mit dem richtigen Wissen umschiffen können. Aber Hand aufs Herz, ich hätte trotzdem über die Stränge geschlagen.

Das können wohl die wenigsten verstehen, aber ich glaube jeder junge Spitzensportler schlägt erst mal über die Stränge hinaus. Wirkliche Vollblutsportler braucht man nicht anzutreiben, nur zu bremsen. Das „auch mal zu weit gehen“ gehört einfach dazu. Diese Leute lieben es, sich zu quälen… bis der Körper mit einer Verletzung stop ruft. Irgendwann war dann der Wachstumsschub vorbei, und damit endeten dann auch diese Probleme.

Stützradkrimi – Brief des 38 jährigen Raphael an den 13 jährigen Raphi

Ich war grundsätzlich ein glücklicher Junge, der auch seine Behinderung akzeptiert hat. Im unterschied zu meiner frühen Kindheit wusste ich nun, dass das nicht einfach so verschwinden wird. Grössten Teils war das ok für mich, aber es wäre gelogen, wenn ich nicht auch mit dem „Warum“ zu kämpfen hatte. Ja, es gab auch Tränen, Abends vor dem einschlafen. Damals hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als ein Motivationsschreiben von einem anderen Selbstbetroffenen. Der genau wusste, wo ich gerade durchgehe. Heute möchte ich genau das tun. Ich schreibe einen Brief an mich selbst in der Vergangenheit.

Lieber Raphi

Ich schreibe dir aus der Zukunft. Verdammt viele Jahre sind vergangen und ich möchte Dir etwas Mut machen. Das Leben als Behinderter ist wahrlich nicht immer leicht, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Du fragst dich gerade warum gerade du Behindert bist. Du willst nicht anders sein, Du willst einfach nur dazu gehören!

Erst mal, vergiss es ganz schnell, dass du nicht dazu gehörst, weil du anders bist. Du bist wie ein spezielles Puzzleteil. Das passt eben nicht überall, ist dafür dort wo es passt umso wichtiger. Es wird nicht so leicht sein, dein Platz zu finden. Wenn Du ihn aber hast, wirst du dort wichtige Funktionen übernehmen.

Ich kann dir sagen, dass ich heute glücklich bin, die Behinderung zu haben. Mein Leben währe ohne sie wohl komplett anders verlaufen. Ich musste sehr früh lernen, für mich und meine Träume einzustehen. Ich lernte früh zu kämpfen und zu verlieren. Nur so konnte ich zum Gewinner werden. Viele meiner Träume habe ich verwirklicht und gelebt. An anderen Träumen arbeite ich gerade. Dadurch durfte ich ein Vorbild für viele Menschen werden. Hört sich toll an oder? Nein, es ist noch viel schöner als du dir das vorstellst. Das Gefühl wenn jemand zu dir kommt und sagt: „Dank dir habe ich…“ lässt sich nicht beschreiben, man muss es erlernt haben.

Ja, als Behinderter schwatzen einem alle rein. Lehrer, Erzieher, Therapeuten, Ärzte und auch die Eltern. Alle glauben zu wissen, was für einem gut ist, und was nicht. Alle zerren an dir, um dich in die „richtige“ Bahn zu bringen. Das ist absolut hässlich. Lass dich von ihnen nicht einfach so von der Bahn bringen. Wenn du einen Traum hast, folge ihm. Auch wenn du heute noch nicht weisst, wie du ihn erreichen willst.

Sie werden Dich auf Teufel komm raus versuchen so normal wie möglich zu machen. Doch dieser Weg ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Als Behinderter muss man den Ort finden wo man rein passt und man seine Stärken ausspielen kann. Trotzdem ist es wichtig Du an deinen Schwächen (zu der auch die Behinderung gehört) arbeiten.

Ich hoffe, dich damit etwas motiviert zu haben. Gib Vollgas und Behindere dich nicht selbst, in dem du überall nur Behinderung siehst!

Liebe Grüsse
Raphael (mit 38 Jahren)

Und nein, dieser Brief ist nicht ausschliesslich für den kleinen Raphael, und auch nicht ausschliesslich für Behinderte. Wenn Du dich davon angesprochen fühlst, ist er wohl auch für dich.

Stützradkrimi – Knallhartes Sommertraining

Langsam wurde ich älter, und mein erstes Therapierad wurde mir zu klein. Eigentlich hätte das zu der IV (Invaliden Versicherung) zurück müssen, dass es wieder einem anderen Kind dienen konnte. Doch mein Stützrad Fahrrad war schrottreif. Material schonen war noch nie mein Ding. Jetzt stand ein neues Fahrrad an. Zusammen mit meinem Fahrradmechaniker wurde ein neues Rad ausgesucht und umgebaut. Das erste mal hatte ich fünf Gänge und ein Freilauf. Mein erstes Fahrrad hatte starrlauf, Dafür konnte ich damit auch rückwärts fahren, was ziemlich eigenartig aussah. Ebenfalls hatte ich keine Arretierbremse mehr. Aber die Vorteile von Freilauf und Gänge überwogen.

Die Freude war riesig und ich musste natürlich das Fahrrad gleich austesten. Austesten ist vielleicht etwas untertrieben. Es wurden 20km dann 30km. Irgendwann meinte meine Mutter: „Übertreib es nicht, kannst ja morgen wieder fahren.“ Geht’s noch, wenn ich morgen schon wieder Fahre hab ich was falsch gemacht. Ich bin auf Rekordtour. Bei 49km war Schluss. Mein Hintern hätte schon vorher aufgehört, aber mein Kopf liess das mal wieder nicht zu. Fazit des Tages… Cooles Fahrrad, aber ich brauche dringend Radlerhosen!

Doch es war nicht nur die erste Freude. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Eishockeyaner und Unihockeyaner ein Sommertraining absolvieren. Das soll besonders hart sein und man hat meist nicht mal den Stock in der Hand. Warum man den Stock da nicht in die Hand nehmen soll, begriff ich zwar nicht. Aber wenn das die Stars so machen wird das wohl schon seine Richtigkeit haben.

So nahm ich mir vor, jeden Abend nach der Schule noch 10km mit dem Rad zu machen. Und ich nahm mir das nicht nur vor, ich tat es auch. Am Wochenenden mussten mindestens ein mal die 20er Marke fallen. Man überlege sich das mal, welche Selbstdisziplin ich da an den Tag legte. Ich meine, ich war zwölf Jahre alt damals und machte solch ein Training. Ein Grossteil der Unihockey und Eishockey Junioren empfinden Sommertraining als eine Qual und machen es oft nur, weil es der Trainer verlangt. Etwas hat sich in mir verändert. Ich wurde zum Leistungssportler.

Ich weiss, dass ich in dieser Zeit auch die ersten Trainings hatte, die ich als eine Last empfand. Nicht falsch verstehen, überwiegend machte mir das Spass, aber es kamen die ersten Momente, wo ich mich für ein Training überwinden musste. Ich merkte dann aber auch sehr schnell, dass der Stolz danach umso grösser ist. So drehte ich eisern meine Runden Tag für Tat, Woche für Woche. Gegen den Spätherbst hatte ich dann 1600km auf dem Tacho. Mehr als mit dem vorherigen Fahrrad über all die Jahre.

Doch es gab für mich noch ein Highlight. Meine Gotte (Patentante) lud mich auf eine Fahrradtour ein. Es soll eine kleine drei Länder Tour am Bodensee entlang werden. In zwei Tagen wollten wir von St. Margreten (CH) über Bregenz (A) nach Friedrichshafen (D) fahren. Das war ungefähr 65km alles in allem. Ich wollte eigentlich noch die 50km an einem Tag schaffen. Das hab ich aber meiner Gotte nicht gesagt.

Nach 25 km fragte sie bereits, ob ich noch weiter will… natürlich wollte ich. Meine Gotte hat dann ab 30km angefangen Unterkünfte zu suchen. Doch ich hatte einen Mitspieler bei meinem zweiten Rekordversuch und der hiess „Hotelausgebucht.“ Wir fanden einfach gar nichts und so knackte ich die 50km. Nach 55 km kamen wir dann in einem teuren Hotel der gehobeneren Klasse unter. Alles andere war ausgebucht. Am anderen Tag waren wir dann allerdings froh, so weit gekommen zu sein. Denn wir hatten Dauerregen. Ich überschritt mit 12 Jahren das erste mal die 50km Marke mit meinem Stützrad-Fahrrad. Ich war stolz auf mich. Erstes Sommertraining gut gemeistert!