Archiv der Kategorie: Behinderung

Stützradkrimi – Basketball als neues Hobby

Mittlerweile hatte ich mich im Dorf schon etwas eingelebt. Einige Jugendliche kannten mich bereits, und Barriere ist wesentlich kleiner geworden. Eines Abends streifte ich wieder mal mit meinem Stützradfahrrad durch das Dorf, als ich plötzlich ein paar Jungs Basketball spielen sah. Mich interessierte das, und so fuhr ich mit meinem Fahrrad auf den Platz.

„Willst du auch einen Wurf“, fragte der eine. Natürlich bejahte ich, denn Basketball ist nach Unihockey und Fahrrad meine drittliebste Sportart. Und wie es der Zufall wollte, ich traf sofort. „Woho, das musst du wiederholen“, meinte der Junge zu mir und warf mir den Ball noch mal zu. Zweiter Schuss, knapp vertroffen. „Komm noch mal“, meinte er. Und wieder war er drin. „Nicht schlecht, woher kannst du so gut spielen?“
„Ach treffen konnte ich schon immer“, meinte ich zu ihm.

Wir stellten uns gegenseitig vor, und dann spielten wir weiter. Ich fand das cool einfach mal mit anderen gleichaltrigen Nichtbehinderten Sport zu machen. Ausserdem waren mir die Jungs sehr sympathisch. Wir waren mitten im Werfen als plötzlich noch zwei weitere erschienen. „Wir haben um 18:00 abgemacht wo wahrt ihr?“ „Sorry Hausaufgaben!“, meinten die Neuankömmlinge. Ach das Problem kommt mir bekannt vor, dachte ich. Und plötzlich waren wir 6 Leute auf dem Platz. „Ok Jungs, spielen wir?“ fragte einer.

Oh nein, die wollen jetzt spielen, da darf ich bestimmt nicht mitmachen, dachte ich. Da ich mich nicht aufdrängen wollte, ging ich schon mal zu meinem Fahrrad. Die Jungs auf dem Feld diskutierten. „Wir sind drei gegen zwei, das geht nicht auf“ meinte der eine. Einer der neu dazugekommenen: „Und was ist mit dem da draussen, spielt der nicht mit?“ Ein anderer: „Raphi, wir brauchen dich, ohne dich geht’s nicht auf!“ Das war wohl nichts mit dem leisen Abgang.

Wir spielten und spielten. Zwischendurch gab es eine kleine Pause, und dann ging es wieder weiter. Und wer glaubte, dass die Jungs mich fragten, ob ich morgen auch wieder komme, der irrt sich. Denn sie liessen mich eigentlich gar nicht entscheiden. „Cool dass du da warst, bis morgen um 18:00 Uhr, wieder hier“, meinte einer. Ja gut, da wusste ich ja, was ich am nächsten Abend machte.

Diese Basketball Gruppe war wirklich speziell. Wir trafen uns jeden Abend über die Sommer Monaten um 18:00. Es gab ein paar Stammspieler, und ein paar die unregelmässig kamen. Aber es hatte immer genug für ein Spiel. Ja, und auch wenn sich das die jüngeren Leser nicht vorstellen können, das klappte ganz ohne Handy. Die Gruppen machten wir selbst, und wir schauten auch für die fairness. Fouls gab man in der regel selbst zu, und es wurden keine Punkte gezählt. Wir waren zwar ehrgeizig, aber nicht verbissen. Das Spiel endete meist dann, wenn wir vor Dunkelheit die Körbe nicht mehr sahen. Und das wetter war natürlich nie eine Ausrede.

Diese Abende waren für mich Gold wert. Nicht nur wegen dem Sport, sondern auch wegen der Freundschaft. Und falls das einer der Jungs von damals liest, DANKE für die Zeit, ich denke noch heute ab und an daran.

Stützradkrimi – Unnötige Barrieren im Kopf

Von nun an war UHC Einhorn Hünenberg ein fester Bestandteil meines Lebens. Die Heimspiel Daten waren heilig und die Spieler meine Vorbilder. Ja, meine Kollegen an der Schule haben mich nicht verstanden, weshalb ich so ein kleinen Hobbyclub verehrte und nicht mehr den grossen Eishockey Profi Verein der Umgebung. Aber das war mir egal. Ich stand jeden Spielabend in der Halle und feuerte meine Mannschaft lautstark an.

Auch wenn ich durch den Unihockey Club erste Kontakte zu Nichtbehinderten knüpfte, die nicht irgendwelche Familiäre Verbindungen hatten, war ich nicht glücklich. Mir fehlte etwas, und ich wusste nicht was es war. Eigentlich sollte es mir gut gehen, ich hatte eine intakte Familie, Freunde in der Schule, und ich hatte auch Kontakt ins Dorf. Doch genau da lag der Haken. Ich hatte so gut wie kein Kontakt zu Gleichaltrigen.

Das Problem war, dass ich auf eine Sonderschule ging, aber nicht dort im Internat war. Solche Behinderteninstitutionen kann man sich wie eine Parallelwelt vorstellen. Sie sind eigentlich dazu gemacht, das Behinderte dort Leben. Das Konzept basiert darauf, dass Behinderte in der offenen Gesellschaft meist keine Freunde finden. Das ständige gemeinsame soll dieses Manko etwas kompensieren.

Ja, es gibt behinderte die blühen unter solchen Bedingungen regelrecht auf, ich gehörte nie dazu! Ich brauchte Normalität und die Welt da draussen. In den Behinderteninstitutionen war mir das alles zu fürsorglich, und zu defizitorientiert. Sicher war das meist nicht böse gemeint. Wenn die Erzieherinnen wieder mal ihr „Aber sei mal realistisch, du bist Behindert!“ auspackten, wollten sie ihre Schützlinge nur vor Enttäuschungen bewahren. Ich konnte diesen Satz nicht mehr hören!

Trotzdem blieb irgendwie etwas von dem Ganzen bei mir hängen. Auch wenn mir das heute keiner glaubt, ich hatte Angst auf gleichalterige zuzugehen. Ich hatte Angst von anderen Jugendlichen wegen meiner Behinderung abgelehnt zu werden. Es war so eine irrationale Angst, denn ich hatte grösstenteils positive Erfahrungen mit Nichtbehinderten. Ich bildete mir ein, dass die ohne jeglichen Erwachsenen als Begleitung fies sein könnten.

Nach dem ich vor dem Einschlafen eine richtig üble Jugendkriese hatte mit vielen Tränen, beschloss ich, am anderen Tag ins Dorf zu gehen und Kontakt aufzunehmen. Das tat ich dann auch tat und ich fragte mich danach: „Warum hast du das nicht schon lange getan.“ Denn es waren alle nett und ich wurde mir bewusst was ich da für eine Mauer im Kopf hatte. Was nicht heissen soll, dass ich der einzige war, der eine Barriere im Kopf hatte.

Mit 18 schrieb ein Clubkollege von Einhorn eine Diplomarbeit über mich und meinen Werdegang. Er hat seine erste Begegnung mit mir sehr eindrucksvoll beschrieben. Was ich nicht wusste, er kannte mich schon lange und hat mich wohl in der Zeit, in der ich selbst zu Einhorn stiess das erste mal entdeckt. Er schrieb, dass er eigentlich ein Spiel schaute, doch dann sah er mich und das Spiel war völlige Nebensache. Er fragte sich, woher ich komme, wie ich heisse, und was ich mache… und natürlich warum ich so laufe. All diese Fragen wäre schnell beantwortet gewesen, doch er traute sich nicht, mich anzusprechen.

Diese Zeilen der Diplomarbeit haben mich sehr nachdenklich gestimmt. Bestimmt wären wir super Freunde geworden wenn wir einfach mal über den Schatten gesprungen wären, und Kontakt miteinander aufgenommen hätten. Stattdessen bauen wir Mauern in unseren Köpfen mit Klischees die vollkommener Schwachsinn sind.

Starte ich dieses Wochenende?

Dieser Blog wird etwas kürzer, denn ich möchte Euch nur schnell über die aktuelle Lage meines Körpers informieren.

Letzte Woche war immer noch ein auf und ab. Mal ging es mit laufen, mal nicht. Das Meeting im Letzigrund musste ich aus lassen, weil es einfach nichts gebracht hätte. Es gibt tatsächlich Momente, da läuft das mit der Koordination schon recht gut und einige Stunden später ist wieder alles zu Sau.

Diese Woche werde ich versuchen, ob ich mich mittels spezieller Vorbereitung für 60m sprintready machen kann. Zudem werde ich noch neue Schuhe kaufen. Die jetzigen sind strukturell durchgelaufen. Sie haben nicht mehr die Stützfunktion im Innenfuss, die für mich wichtig ist. Zudem beginnen sich auch wieder die Sohlen zu lösen. Schuhe kaputt kriegen ist also nach wie vor kein Problem. 😉

Falls es mit den Tests was wird, werde ich ein Startversuch wagen. Ich habe Basel und St. Gallen zur Auswahl. Für Basel spricht eigentlich der Doppelstart, aber ich glaube nicht dass mir dieses Jahr ein solcher was bringt. Ich denke eher, wenn ich mich auf einen Lauf heiss kriege, dann ist das schon super. Da man in St. Gallen in der Halle aufwärmen kann, werde ich mich vermutlich für St. Gallen entscheiden. Ganz sicher ist es allerdings noch nicht. Ich werde Euch noch mal darüber informieren.

Wenn ich starte, dann ist das als ein erster Versuch zu werten. Die Entkoppelung ist immer noch im Gange und es braucht jede Menge Geduld. Das Fiese an der Sache ist, dass ich noch keine Ahnung habe, in welche Richtung es dieses mal geht. Manchmal habe ich selbst meine Zweifel, auf dem richtigen Weg zu sein. Ein Erlebnis wie letztes Jahr in Thun könnte ich jetzt gut gebrauchen. Ich bleibe dran.

Krasse Nebenwirkungen

Heute musste ich zum ersten mal seit langem jemanden um Hilfe bitten, um mein täglicher Einkauf zu erledigen. Es ging einfach nicht anders! Wir werden gerade eingeschneit, der Boden ist rutschig, und ich bin extrem schlecht zu Fuss. Dabei sollte ich in zwei Wochen fit sein, um über 60m Indoor anzutreten.

Ich bin gerade im offenen Schlagabtausch mit meiner Behinderung und ihr habt keine Ahnung wie krass das ist. Ich arbeite an der Koordination und was da passiert, ist gerade schwer zu beschreiben. Die Trainings selbst sind noch ok, doch nach den Trainings beginnt der Horror. Letzten Donnerstag bin ich auf meinem Weg vom Trainingsort zum Zürcher Hauptbahnhof mindestens acht mal umgeflogen. Heute hätte ich ohne Hilfe nicht mehr einkaufen können.

Nach den Trainings geht jeweils nichts mehr. Es ist, als ob mein Körper nicht mehr weiss, wie er gehen soll. Manchmal habe ich das Gefühl, „Wow, jetzt geht’s aber gut“, und in der nächsten Sekunde liege ich. Ich versuche mich irgendwie „Alltagstauglich“ (sofern man das so nennen kann) zu halten. Ich wusste, dass der Kampf hart wird, aber so hätte ich mir das nicht vorgestellt.

Trotzdem sehe ich die Indoor Saison nicht in Gefahr! Ich liebäugle sogar mit dem Letzigrund Meeting das in einer Woche stattfindet. Ich hab endlich eine Übung gefunden, mit der ich die Muskelkoppelung entkoppeln kann. Ich glaube, ich könnte es bis nächsten Samstag hinkriegen, dass ich die Muskelkoppelung zumindest für 60m still legen kann. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass die Muskeln dann auf anhieb das Richtige machen, aber zumindest sprinten könnte ich dann. Was dabei zeitlich raus kommt hab ich keine Ahnung. Ich kann nur sagen, es fühlt sich gut an, wenn die Muskeln mal unabhängig was tun.

Der Kampf mit der Behinderung läuft momentan in voller Härte und manchmal frage ich mich, was ich da tue. Doch spätestens wenn ich den Sinn hinterfrage, kommt ein riesiges

No Excuse!

Es kommen all die Kommentare, und all die Hopp Rufe, und ich denke, los, weiter, irgendwann bist es du der, der die Hände in die Luft reisst. DANKE FÜR ALLE DIE HINTER MIR STEHEN, WIE EINE MAUER. Genau das brauche ich momentan. Man sieht sich auf dem Platz!

Die Änderungen im Laufstil scheinen zu bleiben

Vor etwas mehr als einem Monat habe ich über Änderungen in meinem Laufstil geschrieben. In diesem Blog habe ich damals über den Trainingsstand und über die damit verbundenen Probleme berichtet. Damals schrieb ich auch, dass der Körper dauernd neue Impulse braucht, damit er nicht einfach wieder in das alte Muster zurückfällt.

Genau das scheint jetzt nicht mehr der Fall zu sein. Denn obschon ich über die Festtage keine Impulse setzte, scheint der Körper an dem neuen Laufstil festzuhalten. Einige werden sich nun fragen, wie es dann mit den unschönen Begleiterscheinungen aussieht.

Eine Zeit lang waren diese wirklich schlimm. So schlimm, dass sie den Alltag wirklich negativ beeinflussten. Ich musste ständig aufpassen, dass ich nicht hinflog und manchmal liessen sich Stürze auch gar nicht vermeiden. Doch momentan geht es langsam aufwärts. Die Muskelkoppelung ist zwar noch vorhanden, aber sie schwächt sich ab. Nun heisst es an den neuen Bewegungsmuster arbeiten.

Meine Gangart sieht momentan schlechter aus als früher. Das hängt vor allem damit zusammen das ich gewisse Kompensationsmethoden aufgegeben habe obschon die neuen Bewegungsmuster noch nicht bereit sind. Zwar versucht mein Körper immer wieder mal, neue Muster anzuwenden, meist geht der Schuss aber nach hinten los, da die Muskelkoppelung alles zerstört. Wenn das mal nicht der Fall ist, lässt sich im Ansatz erahnen welche Energien hier freigesetzt werden könnten.

Die Tatsache, dass mein Körper nun tatsächlich bereit ist, neue Muster zu lernen und die kurzen Lichtblicke, wenn es mal zwei drei Schritte besser klappt, lassen mich hoffen. Schnelle Erfolge erwarte ich allerdings keine. Alles in allem bin ich aber optimistischer denn je, dass die Behinderung nicht einfach in Stein gemeisselt ist. Ich glaube sogar, dass mein Sieben Jahres Ziel aufgehen könnte, und ich in der Saison 2025 normal gehen kann. Und selbst wenn das nicht ganz so sein sollte, dann glaube ich doch noch an grosse Fortschritte.

Ja, das Ziel normal gehen habe ich mir schon mindestens sieben mal gesteckt, und bin kläglich gescheitert. Doch der Unterschied zu früher ist, dass ich ganz andere Waffen in der Hand habe. Ich habe endlich Trainingsmethoden gefunden die wirken! Ich habe in den letzten Jahren viel Zeit investiert, meine Behinderung zu verstehen. Es lassen sich eben nicht alle Ziele auf biegen und brechen durchsetzen.

Der Weg dorthin ist leider sehr hart und man muss offenbar auch herbe temporäre Rückschläge einstecken können. Das ist besonders übel, weil sie meist auch den Alltag betreffen. Der Frontalangriff auf die Behinderung wird im neuen Jahr sogar noch forciert. Und die Opferbereitschaft meinerseits ist hoch. Neben dem „Grab der Stützräder“ und dem „Grab des Lymphdrüsenkrebs“ ist noch ein Platz frei. Der ist für dich bestimmt liebe Behinderung! Geniesse deine Triumpfe noch solange sie noch da sind!!!

Stützradkrimi – Eine Lektion fürs Leben

Wir schreiben das Jahr 1994. In Hünenberg steht eine grossen Gemeindefeier an. Denn die neue Dreifachturnhalle ist fertig. Bei der Eröffnung gab es auch ein Rollstuhlbasketball Spiel dass ich unbedingt sehen wollte. Nach dem Rollstuhlbasketball war dann auch noch ein Spiel des UHC Einhorn Hünenberg. Es war glaub ich ein Schweizer Cup Spiel. Eigentlich wollte ich nur das Rollstuhlbasketball Spiel ansehen. Ich hatte Angst von den Einhörner nicht aufgenommen zu werden.

Ich sprach nach dem Basketball Spiel noch mit ein paar Spielern und dann sah ich plötzlich, dass in der Turnhalle Banden aufgestellt wurden. „Moment, das ist Unihockey!?!“ Ich kannte die Sportart nur als Pausenplatzspiel und war komplett begeistert von der professionellen Ausrüstung die da aufgefahren wurde. Total fasziniert blieb ich in der Halle kleben. Das Umfeld rund um mich herum wechselte, und ich merkte es nicht mal. An diesem Tag merkte ich, hier gehöre ich hin. Ich bin ein Einhorn.

Zwei Wochen später machte mich mein Vater drauf aufmerksam dass er im Veranstaltungskalender der Gemeinde ein weiteres Spiel der Einhörner gesehen habe. „Oh ja, da muss ich hin.“ Nun war alle Angst vom abgestossen werden verschwunden. Schliesslich hat mich das letzte mal auch niemand ausgelacht. Doch es soll noch extremer kommen.

Ich feuerte „meine“ Mannschaft lautstark an. Vermutlich war ich der lauteste in der Halle. Ich war wohl so laut, dass sogar die Spieler auf mich aufmerksam wurden. So viele Zuschauer gab es da auch nicht. Jedenfalls, das Spiel war fertig und ich wollte eigentlich gehen, als plötzlich zwei Spieler vor mir standen. „Danke fürs Anfeuern“, meinte der eine und der andere: „Wie heisst du?“ Schon rein die Frage verwirrte mich, denn normalerweise wollten die Leute immer erst wissen, was ich hatte.
„Ich heisse Raphael, kannst mir auch Raphi sagen.“
„Sehr schön, ich bin Fabian“, meinte der Spieler.
„Ich bin halt ein bisschen Behindert“, sagte ich. Darauf wurde das Gesicht des Spielers ernst und dann sagte er recht energisch: „Hör mir jetzt gut zu, hier in dieser Halle, in diesem Club bist du einfach nur Raphi. Deine Behinderung ist hier scheiss egal und interessiert hier niemanden! Wichtig ist nur, das du zu uns gefunden hast. Herzlich willkommen in der Einhorn Familie.“ Das krasse war, dass das nicht nur blosse Worte waren. Es war wirklich so. Es war das allererste mal, wo meine Behinderung von Menschen einfach ignoriert wurde. Wo sie einfach keine Rolle spielte. Einhorn Hünenberg und ich schmolzen extrem schnell zusammen. Es war genau das was ich brauchte. Ein Ort wo die Behinderung eben nicht zählte.

Stützradkrimi – Angst um meine Gesundheit

Mittlerweile trainierte ich extrem. Es verging kein Tag ohne eine gehörige Portion Sport. Eine Stunde war das minimum. Schulturnen zählte ich natürlich schon gar nicht mehr zum Training. Doch manchmal hatte ich verletzungsbedingte Ausfälle. Es waren keine Akute Verletzungen sondern Entzündungsgeschichten. Ich war am körperlichen Leistungslimit angelangt. Manchmal konnte ich bis zu einer Woche nicht mehr gehen. Das war der Horror.

Während ich mich einfach nur über die Verletzungsausfälle nervte, machten sich die Erwachsenen Sorgen um eine Gesundheit. In einer Zwischenkontrolle im Zürcher Kinderspital wurde mir sogar gesagt dass ich aufpassen soll. Unihockey wäre wohl nicht die richtige Sportart für mich. Das habe viel zu hohe Belastungen. Ich solle doch besser was sanfteres wie Schwimmen oder Fahrradfahren machen. Tatsächlich war Unihockey keine gute Wahl, wenn man im Behindertensport was erreichen will. Denn die Sportart gab es im Behindertensport noch gar nicht. Man prophezeite mir sogar, dass ich, wenn ich so weiter mache, mit 20 nicht mehr gehen kann. Das war einer der schlimmsten Arztbesuche die ich hatte.

Schweren Herzens nahm ich mir vor, mich nun auf das Fahrrad fahren zu konzentrieren. Ja Leute ich meinte das sehr ernst. Denn ich habe es geschafft, eine Woche keinen Stock in die Hände zu nehmen. Dann ertappte ich mich wieder auf dem Feld. Ich liebte diese Sportart einfach zu sehr, um sie aufzugeben!

Mir wurde ein Rollstuhl angepasst. Gesagt wurde mir, dass dies nur für den Sport sei und für die Tage an denen ich nicht laufen kann. Ich weiss aber heute, dass man damals die Befürchtung hatte, dass ich irgendwann in den Rollstuhl fallen werde. Damit ich schon mal den Umgang mit dem Gerät lernte, bekam ich Rollstuhltraining. Wir hatten schon zwei Rollstuhlfahrer in der Schule und dann kamen noch drei externe dazu. So wurde eine Kinderrollstuhlgruppe zusammengestellt. Für Sport war ich immer zu haben, und so machte ich auch hier gerne mit.

Die Verletzungen weiss ich heute was es war. Ich war damals stark im Wachstum, und hatte daher Wachstumsprobleme. Mit Beginn der Pubertät verändern sich auch die Muskeln und bekommen einiges mehr an Power. Während sich die Muskeln sehr schnell aufbauen, brauchen die Sehnen und Knochen einiges länger. In dieser Zeit entsteht eine Überbelastung der Sehnen und Sehnenansätzen. Ein eigentlich bekanntes Problem unter Sportler. Das Problem war, dass ich damals nicht in einem Sportlerumfeld war und so konnte mich niemand auf die Problematik hinweisen.

Ich war einfach ein bisschen zu hart am Limit dran. Man hätte die Trainings zu dieser Zeit nicht so sehr auf Kraft sondern mehr auf Technik und Koordination auslegen sollen. Aber das wusste ich damals halt nicht. Wo die Erwachsenen bereits Abnützungserscheinungen befürchteten waren im Prinzip ganz normale Sportverletzungen, wie sie jeder Spitzensportler kennt. Klar hätte ich diese mit dem richtigen Wissen umschiffen können. Aber Hand aufs Herz, ich hätte trotzdem über die Stränge geschlagen.

Das können wohl die wenigsten verstehen, aber ich glaube jeder junge Spitzensportler schlägt erst mal über die Stränge hinaus. Wirkliche Vollblutsportler braucht man nicht anzutreiben, nur zu bremsen. Das „auch mal zu weit gehen“ gehört einfach dazu. Diese Leute lieben es, sich zu quälen… bis der Körper mit einer Verletzung stop ruft. Irgendwann war dann der Wachstumsschub vorbei, und damit endeten dann auch diese Probleme.

Stützradkrimi – Brief des 38 jährigen Raphael an den 13 jährigen Raphi

Ich war grundsätzlich ein glücklicher Junge, der auch seine Behinderung akzeptiert hat. Im unterschied zu meiner frühen Kindheit wusste ich nun, dass das nicht einfach so verschwinden wird. Grössten Teils war das ok für mich, aber es wäre gelogen, wenn ich nicht auch mit dem „Warum“ zu kämpfen hatte. Ja, es gab auch Tränen, Abends vor dem einschlafen. Damals hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als ein Motivationsschreiben von einem anderen Selbstbetroffenen. Der genau wusste, wo ich gerade durchgehe. Heute möchte ich genau das tun. Ich schreibe einen Brief an mich selbst in der Vergangenheit.

Lieber Raphi

Ich schreibe dir aus der Zukunft. Verdammt viele Jahre sind vergangen und ich möchte Dir etwas Mut machen. Das Leben als Behinderter ist wahrlich nicht immer leicht, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Du fragst dich gerade warum gerade du Behindert bist. Du willst nicht anders sein, Du willst einfach nur dazu gehören!

Erst mal, vergiss es ganz schnell, dass du nicht dazu gehörst, weil du anders bist. Du bist wie ein spezielles Puzzleteil. Das passt eben nicht überall, ist dafür dort wo es passt umso wichtiger. Es wird nicht so leicht sein, dein Platz zu finden. Wenn Du ihn aber hast, wirst du dort wichtige Funktionen übernehmen.

Ich kann dir sagen, dass ich heute glücklich bin, die Behinderung zu haben. Mein Leben währe ohne sie wohl komplett anders verlaufen. Ich musste sehr früh lernen, für mich und meine Träume einzustehen. Ich lernte früh zu kämpfen und zu verlieren. Nur so konnte ich zum Gewinner werden. Viele meiner Träume habe ich verwirklicht und gelebt. An anderen Träumen arbeite ich gerade. Dadurch durfte ich ein Vorbild für viele Menschen werden. Hört sich toll an oder? Nein, es ist noch viel schöner als du dir das vorstellst. Das Gefühl wenn jemand zu dir kommt und sagt: „Dank dir habe ich…“ lässt sich nicht beschreiben, man muss es erlernt haben.

Ja, als Behinderter schwatzen einem alle rein. Lehrer, Erzieher, Therapeuten, Ärzte und auch die Eltern. Alle glauben zu wissen, was für einem gut ist, und was nicht. Alle zerren an dir, um dich in die „richtige“ Bahn zu bringen. Das ist absolut hässlich. Lass dich von ihnen nicht einfach so von der Bahn bringen. Wenn du einen Traum hast, folge ihm. Auch wenn du heute noch nicht weisst, wie du ihn erreichen willst.

Sie werden Dich auf Teufel komm raus versuchen so normal wie möglich zu machen. Doch dieser Weg ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Als Behinderter muss man den Ort finden wo man rein passt und man seine Stärken ausspielen kann. Trotzdem ist es wichtig Du an deinen Schwächen (zu der auch die Behinderung gehört) arbeiten.

Ich hoffe, dich damit etwas motiviert zu haben. Gib Vollgas und Behindere dich nicht selbst, in dem du überall nur Behinderung siehst!

Liebe Grüsse
Raphael (mit 38 Jahren)

Und nein, dieser Brief ist nicht ausschliesslich für den kleinen Raphael, und auch nicht ausschliesslich für Behinderte. Wenn Du dich davon angesprochen fühlst, ist er wohl auch für dich.

Der anhaftende Ruf

„Hallo Raphael, sieht man dich auch wieder mal“, fragt jemand aus dem Dorf. „Ich dachte schon, du bist wieder mal auf Weltreisen.“ Jemand anders meint sofort: „Mit dem Velo, ist ja gerade das richtige Wetter dafür.“ (es ist kalt und Regnet) „Ja bei dem weiss man nie, dem ist alles zuzutrauen.“

Andere Szene. Ich drehe relativ gemütliche Runden im Dorf mit meinem Fahrrad. „Da kommt er schon wieder.“ Dann zu mir: „Raphael, jetzt bist du doch erst da durchgefahren, schon wieder eine Runde gemacht.“ Ich: „Ach das ist gemütliches fahren.“ Beim weiter fahren diskutieren die zwei Personen weiter: „Der Wille den der hat.“ Die zweite Person: „Den sieht man bei jedem Wetter.“

Ach was hätte ich gegeben, solche Kommentare in meinen Jugendjahren zu hören. Als junger Sportler, wo ich wirklich noch gekämpft habe. Wo ich mich noch wirklich nicht vom Wetter zurückhalten liess. Damals saugte ich solche Komplimente auf wie ein Schwamm. sie mussten mir Motivation für die nächsten Monate geben. Heute höre ich das wöchentlich. Ich finde es immer noch schön, allerdings weiss ich auch, dass ich heute nicht mehr der Knallharte Spitzensportler bin.

Ja, ich trainiere noch… ich habe allerdings auch keine andere Wahl. Denn wenn ich nicht irgendwann im Rollstuhl landen will, muss ich mich fit halten. Ich trainiere rein nur noch aus Therapeutischen zwecken. Sportliche Ambitionen habe ich mit meinen 38 Jahren keine mehr. „Halt Raphael, immerhin bist du noch am Arbeiten an deiner Behinderung“, werden jetzt einige sagen. Klar, aber ich bezeichne das nicht wirklich als Sportliche ambition.

Wenn man den Aufwand für den Sport vor 10 Jahren und heute vergleicht, so mache ich heute vermutlich noch ein viertel so viel wie damals. Die Trainingsintensität ist heute lächerlich. Früher waren Trainings an den Leistungsgrenzen Alltag für mich. Heute mach ich das nur noch, wenn ich mal bock drauf hab, mich ein bisschen zu quälen.

Ich habe lange gekämpft, für meinen Ruf als knallharter Vollblut Sportler. Jetzt habe ich ihn, und er haftet mir an. Ja, man kann den Raphael von früher für seine Sportlichen Leistungen bewundern. Aber heute bin ich meiner Meinung nach ein ganz normaler Hobbysportler wie jeder andere auch. Ich lebe ja immer noch vom Staat. Ich wundere mich manchmal, warum das den anderen Dorfbewohnern so egal ist. Schliesslich brauche ich ihr Geld. Aber die Einstellung scheint zu sein. So lange er Trainiert und Fahrrad fährt, zahlen wir gerne. (Das wurde mir sogar schon direkt ins Gesicht gesagt)

Die Frage ist halt ob mir das reicht? und diese Antwort ist ganz klar „NEIN.“ Mein Ziel ist es, Finanziell unabhängig zu leben und dass das ausserhalb des aktiven Sportes passieren wird, ist wohl allen klar. Ich bin nicht mehr der Sportler, und will es auch nicht mehr sein. Aber es wird wohl wieder lange dauern, bis ich anders wahrgenommen werde.

Stützradkrimi – Knallhartes Sommertraining

Langsam wurde ich älter, und mein erstes Therapierad wurde mir zu klein. Eigentlich hätte das zu der IV (Invaliden Versicherung) zurück müssen, dass es wieder einem anderen Kind dienen konnte. Doch mein Stützrad Fahrrad war schrottreif. Material schonen war noch nie mein Ding. Jetzt stand ein neues Fahrrad an. Zusammen mit meinem Fahrradmechaniker wurde ein neues Rad ausgesucht und umgebaut. Das erste mal hatte ich fünf Gänge und ein Freilauf. Mein erstes Fahrrad hatte starrlauf, Dafür konnte ich damit auch rückwärts fahren, was ziemlich eigenartig aussah. Ebenfalls hatte ich keine Arretierbremse mehr. Aber die Vorteile von Freilauf und Gänge überwogen.

Die Freude war riesig und ich musste natürlich das Fahrrad gleich austesten. Austesten ist vielleicht etwas untertrieben. Es wurden 20km dann 30km. Irgendwann meinte meine Mutter: „Übertreib es nicht, kannst ja morgen wieder fahren.“ Geht’s noch, wenn ich morgen schon wieder Fahre hab ich was falsch gemacht. Ich bin auf Rekordtour. Bei 49km war Schluss. Mein Hintern hätte schon vorher aufgehört, aber mein Kopf liess das mal wieder nicht zu. Fazit des Tages… Cooles Fahrrad, aber ich brauche dringend Radlerhosen!

Doch es war nicht nur die erste Freude. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Eishockeyaner und Unihockeyaner ein Sommertraining absolvieren. Das soll besonders hart sein und man hat meist nicht mal den Stock in der Hand. Warum man den Stock da nicht in die Hand nehmen soll, begriff ich zwar nicht. Aber wenn das die Stars so machen wird das wohl schon seine Richtigkeit haben.

So nahm ich mir vor, jeden Abend nach der Schule noch 10km mit dem Rad zu machen. Und ich nahm mir das nicht nur vor, ich tat es auch. Am Wochenenden mussten mindestens ein mal die 20er Marke fallen. Man überlege sich das mal, welche Selbstdisziplin ich da an den Tag legte. Ich meine, ich war zwölf Jahre alt damals und machte solch ein Training. Ein Grossteil der Unihockey und Eishockey Junioren empfinden Sommertraining als eine Qual und machen es oft nur, weil es der Trainer verlangt. Etwas hat sich in mir verändert. Ich wurde zum Leistungssportler.

Ich weiss, dass ich in dieser Zeit auch die ersten Trainings hatte, die ich als eine Last empfand. Nicht falsch verstehen, überwiegend machte mir das Spass, aber es kamen die ersten Momente, wo ich mich für ein Training überwinden musste. Ich merkte dann aber auch sehr schnell, dass der Stolz danach umso grösser ist. So drehte ich eisern meine Runden Tag für Tat, Woche für Woche. Gegen den Spätherbst hatte ich dann 1600km auf dem Tacho. Mehr als mit dem vorherigen Fahrrad über all die Jahre.

Doch es gab für mich noch ein Highlight. Meine Gotte (Patentante) lud mich auf eine Fahrradtour ein. Es soll eine kleine drei Länder Tour am Bodensee entlang werden. In zwei Tagen wollten wir von St. Margreten (CH) über Bregenz (A) nach Friedrichshafen (D) fahren. Das war ungefähr 65km alles in allem. Ich wollte eigentlich noch die 50km an einem Tag schaffen. Das hab ich aber meiner Gotte nicht gesagt.

Nach 25 km fragte sie bereits, ob ich noch weiter will… natürlich wollte ich. Meine Gotte hat dann ab 30km angefangen Unterkünfte zu suchen. Doch ich hatte einen Mitspieler bei meinem zweiten Rekordversuch und der hiess „Hotelausgebucht.“ Wir fanden einfach gar nichts und so knackte ich die 50km. Nach 55 km kamen wir dann in einem teuren Hotel der gehobeneren Klasse unter. Alles andere war ausgebucht. Am anderen Tag waren wir dann allerdings froh, so weit gekommen zu sein. Denn wir hatten Dauerregen. Ich überschritt mit 12 Jahren das erste mal die 50km Marke mit meinem Stützrad-Fahrrad. Ich war stolz auf mich. Erstes Sommertraining gut gemeistert!