Sind neue Medien wirklich besser für die Demokratie?

Ich bin definitiv ein Vertreter der neuen Medien. Mit einem Blog mit über 200 Einträgen geniesse ich die Möglichkeit, meine Meinung der Welt mitzuteilen. Vor 25 Jahren wäre so etwas noch undenkbar gewesen. Heute ist es zumindest theoretisch möglich, dass ich mit meinem Blog genau so viele Leute erreiche wie eine grosse Zeitung. Das war früher anders. Grosse Verlage bestimmten, was gelesen wird. Früher fand man in der Presse meist so zwei Meinungen. Es gab mehr Rechts und mehr Links gelagerte Zeitungen. Auch wenn es verschiedene Meinungen gab, so war die Information doch recht eingeschränkt.

Die Presse spielte eine grosse Rolle in Diktaturen der Vergangenheit. Die Presse zu kontrollieren wurde zu einem sehr effektiven Machtinstrument. Pressefreiheit ist daher ein Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie. Für die Pressefreiheit schienen die Neuen Medien perfekt zu sein. Denn man wird es schaffen ein paar Verlage zu manipulieren, aber tausende von Bloggern oder YouTubern… unmöglich oder?

Genau dieser Auffassung war ich auch, bis Ende letzten Jahres die Artikel 13 Diskussion auf den Tisch kam. Seither bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das alte System nicht besser war. Schlussendlich endete das Ganze in einem Grabenkampf zwischen der alten und der neuen Generation. Doch nun mal alles der Reihe nach.

Wie bereits gesagt, bis vor 25 Jahren spielte das Internet kaum eine Rolle. Das Urheberrecht, dass wir heute in vielen Ländern Europas haben, ist grösstenteils auf diese „analoge Welt“ zugeschnitten. Das Internet hat allerdings einiges verändert, und so war es höchste Zeit, das Urheberrecht anzupassen. Bei Urheberrecht geht es grösstenteils um Finanzielle Interessen, eigentlich etwas was der gemeine Bürger wenig interessiert. Normalerweise geht so etwas ohne grossen Lärm über die Bühne. Es war ziemlich schnell klar, dass YouTube bei der aktuellen Rechtsreform einer der Verlierer sein wird, doch das wusste bis im Herbst keiner.

Bis mehrere grosse YouTuber kurz aufeinander Videos machten, dass es ihr Kanal 2019 nicht mehr geben wird und dass Artikel 13 schuld sei. Die Dramavideos sind heute nur noch schwer zu finden. Ich habe aber noch ein Video vom Kanal „Wissenswert“ gefunden (Video). Natürlich ist das Video weit übertrieben. Die YouTube Chefin hat in einem Brief an die Community zuvor verkündet, dass YouTube bei Inkrafttreten des Artikel 13 vielleicht dazu gezwungen sei, nur noch Kanäle von grossen Medienhäusern zu erlauben. Was mich schockierte war, dass Hunderte von YouTuber (darunter auch grosse) diese Meinung unreflektiert verbreiteten.

Niemand kam auf die Idee, soweit zu denken, dass der Brief vielleicht nur bewusst provozierte Stimmungsmache gegen Artikel 13 war. Niemand kam auf die Idee, dass die Theorie, Artikel 13 soll die Meinungsfreiheit einschränken, vielleicht bei den Verschwörungstheorien anzusiedeln ist. Die Fronten wurden schnell gezogen. Artikel 13 ist scheisse, und jeder der ihn verteidigt oder auch nur Teile davon gut fand war nicht mehr vertrauenswürdig.

Keine Zeit mehr für Recherchen

Doch was hat sich verändert. Früher war das schnellste Medium das Radio. Aber selbst da wurde bei Debatten fast immer Pro und Kontra berücksichtigt. Doch für die eigene Meinungsfindung wurde meist noch die Zeitung hinzugezogen. Und die liessen sich nicht mit einer Pressemitteilung abspeisen. Die Recherchierten noch. Denn das wurde von den Lesern erwartet. Von den Neuen Medien erwartet man nur noch eins. Schnell muss man sein. Denn wer als erstes die News raushaut, hat die Chance auf die meisten Klicks, und um die geht es heute.

Was mich aber vor allem erschreckte waren die Kommentare in Videos oder auf Tweets. Alles was die Leute da schrieben war #saveyourinternet oder #NiemehrCDU und irgendwas belangloses oder sogar noch eine Beleidigung. Ernsthafte Diskussionen musste man lange Suchen, und hielten auch selten lange an. Sachliche Diskussionen waren noch seltener und konstruktive Arbeit gab es so gut wie keine. Eigene Lösungsansätze für das Problem (wobei die meisten die eigentliche Problematik und der Grund für Artikel 13 gar nicht verstanden) kamen von der Community genau einen zu Stande nämlich ein Alternativvorschlag von Rechtsanwalt Christian Solmeke. Es ging eigentlich auch den wenigsten um Artikel 13 als solches, sondern viel mehr, dass sie ihre Lieblingsplattform (YouTube) in Gefahr sahen.

Ich nehme mir mal die Freiheit, zu behaupten, dass das Ganze eine sehr geschickt eingefädelte „Töte-Artikel 13-Kampagne“ von Google war. Man hat ganz bewusst mit weit überzogenen Behauptungen (YouTube wird sterben, Meinungsfreiheit ist in Gefahr) Panik in der Community geschürt um möglichst viel Stimmung gegen Artikel 13 hinzubekommen. Und so wurden Hunderttausende ohne es selbst zu merken plötzlich zum Lobbisten einer der grössten IT Konzerne der Welt, Google. Dabei hätte ein bisschen Nachdenken bevor man liked und teilt die Masche aufdecken können. Die Meinung äussern zu können, hilft eben nicht, wenn man sich nicht mehr die Zeit nimmt, seine eigene Meinung zu machen. Und da sehe ich eine grosse Gefahr in den neuen Medien. Früher war zwar die Informationslage eingeschränkt, man musste sich aber dennoch erst mal eine eigene Meinung machen. Heute gibt’s die Meinung leicht verdaulich vorgekaut vom Lieblings Influenzer. Nur noch liken und teilen, fertig ist die Meinung.

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